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125 Jahre Reismann - Festrede von Landrat Manfred Müller

Festrede von Landrat Manfred Müller am Donnerstag, 18. Juli 2013

Sehr geehrter Herr Rojahn, Herr Bürgermeister, Frau Regierungspräsidentin
meine sehr geehrten Damen und Herren,
verehrte Mitglieder dieser höheren Lehranstalt!

das Theodorianum hat im letzten Jahr sein 400 jähriges Jubiläum gefeiert und hat für den Festvortrag einen Philosophen eingeladen. Das Reismann feiert 125 Jahre und hat mich, einen regionalen Politiker, zur Festrede gebeten, der hier an dieser Anstalt sein Abitur gemacht hat. Nun, der Philosoph stammt nicht vom Theo, aber dafür ist auch meine Rede umsonst, ich hoffe nicht vergebens.

Wobei – streng genommen ist ein Landrat zwar Politiker, aber eigentlich ein Beamter, wenn auch ein Wahlbeamter. Beamte haben ja einen ganz bestimmten Ruf. Das erinnert mich an die Abschiedsworte meines früheren Direktors Dr. Hemmen, als ich mich nach dem Abitur in einer ganz speziellen Lebenssituation von ihm verabschiedete. „Was wollen Sie denn jetzt machen – ach Beamtenlaufbahn. Eigentlich ein bisschen schade.“ Nun – wie fühlt man sich da? Ein wenig ambivalent…
Gar nicht wie ein Beamter muss sich Heinrich Reismann gefühlt haben, als er 1888 den Auftrag erhielt, die Schullandschaft im zunächst verträumten, aber später doch erwachenden Paderborn durch eine realistische Alternative zu ergänzen.
Wie war das 19. Jahrhundert für Paderborn gelaufen? - Paderborn war jahrhundertelang unter der Herrschaft der Fürstbischöfe nicht gerade das Zentrum des Fortschritts gewesen. Die Blütezeit im Mittelalter war Lichtjahre her. Als die Preußen gekommen waren, stellten sie fest: schlechte Straßen, schlechte Verwaltung, 90 kirchliche Feiertage und eine Bevölkerung, die dem Trunke ergeben ist.

Ob es tatsächlich schlecht war, bleibt dahin gestellt. Aber wichtig ist ja die Frage: Wie sah es da bei den Schulen aus?
Bei den höheren Schulen existierte das Theodorianum und produzierte eine humanistische Bildungselite – und zwar haarscharf am örtlichen Bedarf vorbei. Denn die hochgeistigen Absolventen fanden in dem weniger entwickelten Paderborner Land keine Stellen und wanderten aus – Bildungswanderung gab es also damals schon.
Mit der Industrie war es in Paderborn damals noch nicht so weit her. Nur langsam entwickelte sich das Land, mit dem Anschluss an das Eisenbahnnetz im Jahr 1850. Schon in den 1840iger Jahren wurde der Ruf laut, eine Gewerbeschule zu gründen. Aber trotz der verschiedensten Aktivitäten, es blieb Palaver, es wurde nix draus.

In der Biographie über Heinrich Reismann ist zu lesen, dass damals – ganz im Gegensatz zu heute Herr Bürgermeister – in der Stadt Paderborn ein führender, weit und klar schauender Geist mit tieferen Kenntnissen auf dem Gebiete des Schulwesens fehlte.
Zwar hatten wohlhabende Bürger sich bereit erklärt, wie es heißt – namhafte Opfer für eine neue realistische Schule zu bringen, die Stadt aber fühlte sich bei der schlechten Finanzlage nicht imstande, die Schulpläne zu verwirklichen.

Heute ist das alles ganz anders. Vor allen Dingen bei den Erkenntnissen. Nicht bei der Finanzlage.
Zurück zu Heinrich Reismann, der zuvor als Junglehrer am Theo war und dann Stationen in Münster und Freren hatte. Er richtete 1886 seine Blicke wieder nach Paderborn – sicher in der grundfesten Überzeugung, dass die bildungsfernen, aber –hungrigen Schichten in Paderborn die notwendige Know-How Transfusion doch nötiger habe als das Münsterland, und auch schulunternehmerisch ein höheres Entwicklungspotenzial aufwiesen.

Die Stadtherren sagten schließlich ja und unterstützen seine Schule fortan mit der stolzen Summe von 2000 Mark jährlich. Paderborns erstes Public-Private Partnership Projekt war geboren.
Die schnell steigenden Schülerzahlen waren – so heißt es – eine Folge des Mangels an lateinlosen Schulen in der damaligen Zeit. Was – wenn ich von dieser historischen Tatsache in meiner Schulzeit 90 Jahre später gewusst hätte, mich in meiner Einschätzung, dass Latein die Schüler quälen soll, nachdrücklich bestätigt hätte. Heute weise ich solche Gedanken weit von mir und sonne mich im Glanz meines mit großen Schmerzen erworbenen großen Latinums – auch wenn ich dafür viereinhalb Jahre leiden musste.
Aber zurück zu Reismann, dem man 1912 eigentlich seine Schule abkaufen wollte, um sie zu einem Reformrealgymnasium auszubauen. Weil – und schlau war man bei der Stadt ja schon immer – „weil man durch die Übernahme dieser blühenden Anstalt sich die lästigen und kostspieligen Entwicklungsjahre sparen könne“ klar war den Stadtverordneten, dass diese neue Schule eine „verhältnismäßig abgeschlossenen Bildung für die kaufmännischen und gewerblichen Berufe“ gibt. 1919 beschloss die Stadtverordnetenversammlung den Ankauf der Schule für ganze 178.000 Mark. Das Gymnasium sollte starten. Dann war es aber die höhere Weisheit des Kreistages, die dem Erwerb im Wege stand. In der Januarsitzung 1920 machten die Landgemeinden im Kreistag ihre Bedenken geltend und die Pläne scheiterten erneut.
Was folgte, war ein Lehrstück an unmittelbarer Demokratie, das Aufbäumen einer Art früher Bürgerinitiative Innenstadt-Ost, deren Nachfahren ja in heutigen Zeit wieder von sich reden machen.
Man überlege einmal: der Paderborner an sich ist eigentlich nicht unbedingt ein Revolutionär. Und spätestens seit unserem Schulkollegen Rüdiger Hoffmann wissen wir: er ist auch nicht so spontan und er redet auch nicht so viel. Vor allen Dingen auch nicht sofort. Aber dies war dem Paderborner damals dann doch zu viel.

Bitterste Enttäuschung machte sich breit. Frühdemokratische Elternversammlungen erhoben Einspruch. Und es kam zu einer stark besuchten Handwerker-Versammlung und die ersten Wutbürger von Paderborn seit der Reformation hatten Erfolg!

Am 1. April 1923 wurde die Schule nach langwierigen Verhandlungen von der Stadt übernommen. Und das heiß ersehnte Ziel war erreicht: der Ausbau zur Vollanstalt. Alles wurde gut. Und die Moral von der Geschicht‘: bei Schule sparen lohnt sich nicht!


Tausende von Schülern hat diese Schule in 125 Jahren auf das Leben vorbereitet. Auch mich. Aber damals wollte ich das natürlich noch nicht so recht einsehen.
Nicht immer ging alles stressfrei über die Bühne: es existiert noch ein altes Klassenbuch, keiner weiß, wie es weggekommen ist: ich war’s nicht, aber ich habe dem, von dem ich es ausgeliehen habe, hoch und heilig versprochen, dass ich es wieder bringe. Es stammt aus dem Jahre 1977, betrifft die Klasse 10a und hat am 7. Februar 1977 den Eintrag: „Müller und Reinkemeier rauchen auf dem Schulgelände. Arrest? Und kurz danach: Müller mit einer Stunde Arrest bestraft.“
Also: ganz ohne war ich offenbar auch nicht, ich hatte es ganz vergessen….


Was will ich dem Reismann, was will ich Lehrern und Schülern empfehlen nach 125 Jahren Reismann? Pädagogik ist Ihr Handwerk, liebe Lehrerinnen und Lehrer. Das können Sie besser als ich. Aber vielleicht kann ich zum Ausdruck bringen, was Politik von Schulen erwartet, was sie glaubt, was wichtig ist und was ich glaube, was den Absolventinnen und Absolventen im Studium und Leben weiter hilft, kurzum welchen „Output“ eine Schule im Computerzeitalter haben sollte.
Dazu einige Thesen, vielleicht auch im Sinne von Heinrich Reismann

1. Wissen
Das weltweit vorhandene Wissen verdoppelt sich in kürzester Zeit. Wie kann eine höhere Lehranstalt da mithalten? Ich weiß, dass ich nichts weiss. Manche sagen ja, es reicht, wenn ich weiß, wo es steht. Aber ohne ein Grundwissen geht es nicht. Sonst weiß ich nicht, wo ich nachschlagen soll. Da hilft Wikipedia nicht weiter.

2. Werte
Eine wertorientierte Erziehung, Schul- und Ausbildung ist die Voraussetzung, um eigenständig verantwortungsbewusst auf Lebenssituationen reagieren zu können. Geschichte und Religion haben mich hier am Reismann sehr geprägt. Manchmal hatte ich gar den Eindruck, dass wir in den 70iger Jahren die Adressaten der Umerziehung der vorherigen Generation gewesen sind.
Du sollst keine Vorurteile haben! Das hat man uns eingebläut! Mit missionarischem Eifer. Die Lehrpläne wollten offenbar das nachholen, was der Generation vor uns nicht vermittelt worden war. Aber dennoch war es richtig: Das Desaster der Nazizeit. Toleranz, Grundrechte. Geschichte Leistungskurs bei Herrn Thiele, damals SPD, das hat mein Interesse für Politik geweckt. Und dafür, was zu tun ist, um eine Diktatur, um Menschenverachtung, Ungleichheit und Staatskriminalität zu vermeiden. Heute bin ich verantwortlich für Wewelsburg, dort wo Heinrich Himmler eine Ordensburg entstehen lassen wollte. Ich lade alle Schulen herzlich ein zur Zusammenarbeit. Ich bin Vorsitzender des Volksbundes deutscher Kriegsgräberfürsorge, mit ganz speziellen Förderprogrammen für Fahrten zu Gedenk- und Kriegsgräberstätten in ganz Europa mit speziellen Programmen, den Frieden zu bewahren. Übrigens: mit dem Theo haben wir ein Partnerschaft, zum beiderseitigen Nutzen. Jeder Schüler sollte erfahren im wahrsten Sinne des Wortes, dass wir Frieden nicht einfach konsumieren, als selbstverständliche Dienstleistung der Politik verstehen, sondern dass Europa gelebt werden will. Und das der Euro dabei hilft. Und das jeder dabei gefordert ist.
Das vielzitierte Desinteresse an Politik ist in diesem Sinne gefährlich. Und ich meine, dass es ein Gymnasium schaffen sollte, nicht nur Lehrpläne abzuarbeiten, sondern echtes Interesse zu wecken. Denn im Ergebnis fehlt es vielen jungen Menschen daran, wie Umfragen belegen.
In diesem Jahr sind es am 23. März 80 Jahre her gewesen, seit das Ermächtigungsgesetz im Reichstag beschlossen wurde. Die Demokratie schafft sich selbst ab, Jeder Schüler, jede Schülerin muss so etwas einerseits wissen, so etwas einordnen und es andererseits auf nur im Ansatz ähnlich entstehende Strukturen anwenden zu können. Denn im Zweifel braucht es den mündigen, urteilsfähigen Bürger, um Mechanismen wie damals aufdecken und gegensteuern zu können.
Die 70iger waren eigentlich die Paderborner 68iger. Weil - in Westfalen kommt das alles etwas langsamer an. Und abgemildert. Ein Beispiel: In Sozialwissenschaften bei Pastor Josef Kröger – in höheren Kleruskreisen Alt-68iger benannt - legten einige Schüler einfach die Füße auf den Tisch. Einfach so. Gehört sich nicht. Wussten die. Machten die aber. Das war cool. Und wer cool ist, macht Eindruck bei den Mädels.
Josef Kröger wollte ihnen zeigen, wie das denn wirkt, wenn man sich die mehr oder weniger intakten Schuhsohlen entgegenstreckt. Legt auch die Beine auf das Lehrerpult. In dem Augenblick ging die Tür auf und Rektor Dr. Hemmen stand im Klassenraum. Was meinen Sie, wer zuerst die Füße wieder unten hatte?


3. Studier- und Ausbildungsreife
Was sagen mir die Betriebe, was sie sich für Absolventen wünschen? Was wird am meisten genannt, trifft aber nicht auf alle zu?
Viele Unternehmenschefs meinen: es fehlt an Deutsch und Mathe. Sie wissen alle, was das heißt. Mehr sage ich dazu nicht, würde zu lange dauern.
Viele meinen, es fehlt auch an sozialer Kompetenz, an Höflichkeit und Kommunikationsfähigkeit. Da scheint mir aber im Vergleich zu früher einiges in Bewegung gekommen zu sein.

4. Beständigkeit
Die heutige Zeit hält vielfältige Möglichkeiten, Chancen und Alternativen für jedermann bereit. Ziele, gerade auch persönliche Ziele sind für junge Menschen, aber auch später im Berufs- oder Privatleben nicht ohne Beständigkeit, Verlässlichkeit und eine gewisse Frustrationstoleranz erreichbar.
Man muss sich manchmal entscheiden, aber man sollte auch durchhalten können. Denn Menschen schätzen häufig nichts mehr, als wenn sich Menschen auf andere Menschen verlassen können.
Im übrigen ist das eine ausgesprochen westfälische Tugend.
Ein Songtext von Silbermond, Sie kennen ihn alle, lautet:

Gib mir ein kleines bisschen Sicherheit,
in einer Welt, in der nicht sicher scheint,
nimm mir ein bisschen Geschwindigkeit,
in dieser schweren Zeit, irgendwas, was bleibt.

Auch junge Menschen müssen lernen, dass man ein paar Korsettstangen im Leben selbst einziehen muss, die Halt und Orientierung geben. Das Bewusstsein, dass Verlässlichkeit und Beständigkeit, Werte und Treue Qualitäten sind, die das Leben nicht schwerer, sondern im Ergebnis leichter machen.
Was ich nicht meine, dass es immer wieder auch einen Prozess des Trial and Error geben muss, man muss nur schließlich zum Ergebnis kommen. Ein Beispiel einen solchen Ausleseprozesses war seit jeher auf dem Reismannweg zu beobachten, der zu unserer Zeit in den Siebzigern ein Kontakthof war, denn drüben am Pelizäus waren ja nur Mädchen.


So spielten sich dort
romanartige Liebesdramen ab. Es gab so manche Schülerin von
Pelizeus, die sich nicht zwischen 2 Reismännern entscheiden konnte
und somit an einem Tag mit dem einen und in der nächsten
Woche wieder mit dem Nebenbuhler körperlich verbunden war.

Was ich wirklich damit sagen will, ist, der Reismannweg ist wichtig, Herr Bürgermeister, nicht nur als Durchgangsweg, sondern auch als Kontaktbrücke und Campus für Pelizäus und Reismann. Wenn auch heute anders als damals, in den Siebzigern.

5. MINT
Das hat nichts mit Pfefferminz zu tun. Mathematik, Informatik, Naturwissensschaften und Technik. Diese höhere Lehranstalt wurde aus der Taufe gehoben, um der örtlichen Wirtschaft frische, adäquat ausgebildete Kräfte zuzuführen. Nun, dieses Ziel gilt nach wie vor. Früher gab es nur das Ausbesserungswerk und den Bischof. Heute ist das – Gott sei Dank – anders. Unsere Wirtschaft ist sehr geprägt durch unsere industriellen Kompetenzen, geprägt durch den Erfolg von Heinz Nixdorf, durch eine Universität der Informationsgesellschaft, durch Automobilindustrie, durch Maschinenbau, durch intelligente technische Systeme.
MINT ist die Basis des Fortschritts. Wir sind eine MINT – Region und wir fördern ganz bewusst diese Neigung.
Zu meiner Zeit war Mathematik verpönt. Mathe-Leistungskurs, was war das uncool, Spassbremse, überhaupt nicht sexy, wie wir damals sagten.
Was wir aber brauchen ist quasi eine erotische Ausstrahlungskraft der Mathematik. Aber ganz im Ernst:
Mathe kann auch Spass machen. Es gibt Leute, die das behaupten. Es gibt sogar Leute, die das wissenschaftlich untersuchen und entwickeln. Sogar an unserer Uni.
Such Dir einen Beruf, der Dir Spass macht und du brauchst dein Leben lang nicht mehr zu arbeiten. Was Generationen von Beamten beherzigt haben, kann einfach nicht falsch sein. Aber ganz ernst: mit MINT-Kompetenzen lassen sich Karrieren bauen, lässt sich gutes Geld verdienen. Eine Schule tut gut daran, für die heimische Wirtschaft auszubilden. Das ist gute alte, realistische Reismann-Tradition, denn naturwissenschaftlich war Reismann schon immer stark. Und modern ist es noch dazu.
Es kommt eben darauf an, Spannung zu erzeugen. Aber nicht immer klappt jedes Experiment. Ich erinnere mich gut an Prof. Horstick, der so treffend nach misslungenem Physik-Experiment bemerkte: „Wie Sie sehen, sehen Sie nichts!
So was kommt im Leben vor! Macht Spass, vor allen Dingen, wenn es dem Lehrer passiert …

6. Internationalität, Integration und interkulturelle Kompetenz
Die Welt wird immer globaler. Paderborn und die Städte und Gemeinden rings herum pflegen viele Städtepartnerschaften. Am Reismann bemüht man sich um eine Schulpartnerschaft mit einer Schule in Peking. Hier kann man sogar in Chinesisch sein Abitur machen. Exzellent. Sprachkompetenzen sind unverzichtbar für den modernen Menschen. Und für die Wirtschaft erst recht.
Heinrich Reismann, Sie wissen es alle, war selbst sprachbegeistert. Er ging 1872 nach England und bestand 1874 sein Staatsexamen u.a. in Französisch, Englisch.
Mit der Sprache gewinnt man Interesse am Ausland. Und interkulturelle Kompetenz kommt dann hinzu. Was haben mich drei Schüleraustausche mit der Amersham Grammar School in England geprägt. Herr Meimann hat uns dorthin geführt. Eine völlig fremde Kultur kennen gelernt. Erste Auslandsreise. Weiße Bohnen mit Tomatensoße, jeden zweiten Tag. Tea-Time genossen. Danach gab’s nichts mehr zu essen am Abend. Überraschenderweise. Very strange für jemanden, der immer Hunger hatte. Nachts habe ich schließlich auf Englisch geträumt – being hungry sozusagen.
Das Reismann war immer mutig, wenn es um internationale Kontakte ging. Kurz vor dem Abi ging unsere Studienfahrt nach Budapest. 1979! Ich weiß heut’ noch nicht, warum uns Dr. Hemmen hat in den Kommunismus fahren lassen…Wir haben 1 : 17 getauscht, konnten für 5 Mark die Flasche Krim Sekt aus Zahnputzgläsern trinken und uns in den Zustand höherer Lebensfreude versetzen. Das waren politische Studien, die nachhaltig im Gedächtnis blieben!
Aber zurück zum Thema! Wenn Deutschland im Geschäft sein will, braucht es Menschen, die gut Englisch und gern auch Chinesisch oder Russisch sprechen. Schon Heinrich Reismann hat – in klarer Abweichung vom Lehrplan für höhere Bürgerschulen aus dem Jahre 1882, zusätzliche Englischstunden unterrichten lassen.
Wir brauchen eine Region, die tolerant ist gegenüber Andersdenkenden, gegenüber anderen Religionen und Kulturen. Es gibt Untersuchungen, dass in Zukunft sich hochqualifizierte Fachkräfte die Region , in der sie arbeiten, aussuchen können. Und sie werden sich die Region u.a. danach aussuchen, wie tolerant, wie weltoffen sich die Region darstellt. Hier ist unser Beitrag gefordert:
Im Kreis Paderborn leben Menschen aus 122 Nationen. Und viele Spätaussiedler. Am Reismann ist der Migrantenanteil besonders hoch. Bei allen Problemen: welch‘ ein Gewinn! Sowohl wirtschaftlich wie kulturell. Nur wer Andersdenkende und Menschen mit anderer Herkunft als solche akzeptiert, wer interkulturelle Kompetenz entwickelt, der hat das Zeug zum erfolgreichen Weltbürger. Und dabei ist es nicht ausgeschlossen, dass man nebenbei noch Schützenkönig in Wewer wird, wie das Beispiel des früheren Wincor-Nixdorf Vorstandsvorsitzenden Karl-Heinz Stiller beweist.
Heinrich Reismann hatte zu seiner Zeit in seine Rahmen immer schon den Hang zum Internationalen. Und das Reismann, wie ich es erlebt habe, war immer schon geprägt von der Erziehung zu Toleranz und Respekt vor den Menschen.

7. Sport
Reismann ist Sportgymnasium, war eigentlich im Sport immer groß. Nur die Turnhalle ist im Laufe der Jahre nicht mit gewachsen.
Daran wird ja heute noch gearbeitet. Die wird erst mal abgerissen. Das ist ja schon mal ein viel versprechender Anfang.

Frei nach dem Prinzip: Destruktion, Konfusion, Konstruktion, Finanzmission, Absolution
Ich habe natürlich meine eigenen Erinnerungen an diese museale Bauwerk. Denn wir bekamen als VIa 1971 von Fritz Buhr Sportunterricht. Er hatte 1969 gerade mit einigen anderen Verschworenen den VBC 69 gegründet. Er stellte sich uns vor und sagte: Ich liebe Basketball und sage Euch, wie ich heiße - großes B und kleine Uhr – so schreibt sich Herr Buhr.
Der Sportplatz am Dörener Weg ist geblieben, habe ich gesehen. Früher war dort unten der städtische Schlachthof. Und im Sommer bei brütender Hitze war neben dem ätzenden Schlachthofgeruch auch immer das typische spitze Geräusch sterbender Schweine in der Luft.
Am Theo würde man zum Sportunterricht sagen: „Mens sana in corpore sano“. Als Landrat und zuständige Gesundheitsbehörde muss ich sagen: Wir werden immer dicker! Adipositas ist schon bei Kindern weit verbreitet. Deutschland verfettet. Und ein Sportgymnasium setzt da einen wichtigen Kontrapunkt und kann einen Megatrend reiten.
Übrigens: auch Heinrich Reismann setzte sich für den Sportunterricht ein: er gehörte zu den Mitverursachern des Kaiser- Karls-Bades, dort wo auch wir hingeführt wurden.
Aber auch früher im Englischunterricht ging es sportlich zu. Unser Klassenlehrer Willy Schmitz wollte einem Kameraden zeigen, wie ein Schwinger beim Boxen geht. Er holte aus, Klaus Vogt, ich weiß es noch wie heute, wollte sich ducken und bekam die volle Rechte auf die Zwölf und ging Parterre. Es dauerte eine Weile, bis dass er wieder zu sich kam. Willy Schmitz war das hochnotpeinlich. Erzählt das aber nicht Euren Eltern. Haben wir dann auch getan.

8. Diskussionskultur
Schon seit Platon, Goethe und Luther ist klar: unsere Kulturgeschichte ist ohne Diskussionskultur nicht denkbar. Wer zu Erkenntnissen kommen will, braucht das Gespräch, braucht Diskussion, braucht eine gute verbale Streitkultur.
Die Politik kommt ohne Diskussionskultur nicht aus – im übrigen auch nicht ohne Diskussionsleiter, der wie beim Fußball auf die Regeln achtet.
Wissenschaftliche Untersuchungen belegen: die Ausschaltung der Diskussionsmöglichkeit, das Fehlen von Meinungs- und Pressefreiheit, war ein wesentlicher Faktor bei der Machtergreifung der Nazis.
Ein hohes Niveau der Diskussionskultur – ganz individuell bei jedermann und auch in der Gesellschaft fördert die Effizienz und die Wertorientierung unseres Gemeinwesens. Die Welt schreibt dazu: „In der Schule ist das Unterrichtsgespräch seit jeher die ergiebigste Lehr- und Lernmethode. Es bereitete die Heranwachsenden auch in idealer Form auf unsere Demokratie vor, die auf dem Austausch von Argumenten basiert.“
Schöner hätte ich es auch nicht sagen können. Die Lust am Diskutieren hat mir im Leben sehr geholfen. Auch wenn meine Eltern vor 35 Jahren und heute meine Frau daran ab und zu verzweifeln…
Wir haben damals auch fleissig geübt: Dazu folgende Episode:
Die siebziger Jahre war eine sehr politische Zeit, gerade auch an Schulen.
Unser Lateinlehrer Felix Gödde, – er sagte, wieder eine Vokabel, die Ihr nicht zu lernen braucht - nutzte jede Gelegenheit im Unterricht Parallelen von
der Vergangenheit zur Gegenwart zu ziehen und den Untergang Roms mit dem Wirken
der SPD in der Regierung gleichzusetzen. Für uns Schüler war das sehr angenehm,
wir hörten uns lieber politische Reden an als im Unterricht Vokabeln aufsagen zu müssen.

Unsere Kunst bestand nun darin, ihn durch inhaltliche Fragen und gezielte Provokationen dazu zu bringen, sich richtig in Rage zu reden, sozusagen das Feuer anzufachen und diesen Prozess bis zum Klingeln am Ende der Stunde am Leben zu erhalten .

Was haben wir daraus gelernt? Die meisten Diskussionen sind nicht zweckfrei. Manchmal merkt man aber erst spät, welchen Zweck sie wirklich hatten.

Ich hatte jedenfalls nachher beste Voraussetzungen für die Politik.

Jetzt aber einen totalen Schwenk – und das meine ich jetzt ganz ernst:
9. Das Ansehen der Lehrer steigern

Lehrer sein ist nicht einfacher geworden. Vielfach werden Sie mit Aufgaben konfrontiert, die weit über Wissensvermittlung hinaus gehen. Aber ich möchte Ihnen sagen – das ist meine persönliche Meinung – Berufsprofile wandeln sich. Aber auch Heinrich Reismann war als Schulleiter seiner Zeit weit voraus. Der war Manager, erfolgreicher Geschäftsmann, Politiker, Beichtvater, Führungskraft, Visionär. Für damalige Verhältnisse hat er relativ aber besser verdient als die Schulleiter heute. Ob Reismann aber Elternversteher oder Elternflüsterer war, kann ich nicht sagen. Die Pädagogik war sicher – nun sagen wir – anders.
Lehrer und Lehrerinnen können, Sie wissen das besser als ich, nicht die Tür nach dem Unterricht zumachen. Etwas ganzheitlicher wird es wohl sein müssen in Zukunft und ein bisschen mehr geht es schon in Richtung Erziehung.
Dafür haben Sie aber – und da nehme ich die Gesellschaft in die Pflicht – ein deutlich höheres Maß an gesellschaftlicher Anerkennung verdient. Denn wenn Kinder und Jugendliche unsere Zukunft sind, dann sind diejenigen, die an dieser Zukunft arbeiten, sie ausbilden und erziehen, viel wichtiger als sie heute vielfach gesehen werden. Und ich werde nicht müde, immer wieder, darauf aufmerksam zu machen, dass wir unseren Lehrerinnen und Lehrern unsere Zukunft verdanken.
Und deswegen möchte ich dieses Jubiläum nutzen, um Ihnen für Ihren aufreibenden, anspruchsvollen und wertvollen Dienst an unserem Nachwuchs zu danken. Dieser Dienst, den sie täglich leisten verdient das Prädikat: ausgesprochen wertvoll!

10. Den Willen zum Erfolg!
Ferdinand Klingenthal hat neulich zu Recht wie ich finde fünf Personen genannt, die Paderborn in der Geschichte nach vorn gebracht haben. Karl der Große, Bischof Meinwerk, die beiden Fürstbischöfe Dietrich und Ferdinand von Fürstenberg und - den Reismannabsolventen aus dem Jahr 1947, Heinz Nixdorf.
Und wenn Sie den Weg Paderborns nach dem Krieg verfolgen, dann haben wir viel Heinz Nixdorf, aber auch seinem Geist zu verdanken
Und dieser Geist lautet: „den Willen zum Erfolg haben!“ Wirtschaftlich, unternehmerisch, infrastrukturell. Heinrich Reismann war einer der Aktivposten im damaligen Paderborn, auch kommunalpolitisch. Und: Durch das Reismann kamen die Arbeitskräfte auf den Markt, die Paderborn fehlten und mit nach vorn brachten.
Heute gehört dazu: Die Fortentwicklung der Universität, den Anschluss Paderborns an das Verkehrsnetz, aber auch bezogen auf das Bildungssystem: hochkarätige Schulen.
Was gibt es heute doch für Zögerlichkeiten! Was gibt es überall für Bedenkenträger und „Glas halb leer Redner“!
Ganz ehrlich: Heinrich Reismann war anders! Zum Willen zum Erfolg gehört Überzeugung, Entschlusskraft und Energie. Und Begeisterung. Nur wer selbst begeistert ist, kann auch andere begeistern! Diesen Willen brauchen wir hier im Paderborner Land auch weiterhin, brauchen die Abiturienten, Studenten , die Wirtschaft und die Politik, braucht aber auch jede Schule und jede Schulkonferenz.
Meine Damen und Herren! Visionäre Köpfe heißen Heinrich. Reismann oder Nixdorf.
Und ein bisschen Heinrich ist doch in uns allen! Vor allen Dingen hier am Reismann!
Herzlichen Glückwunsch!

 

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