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Pressemeldung vom 04.02.2013

Dr. Rainer Böhm: „Bildung braucht Bindung“ - Kinderarzt referierte im Paderborner Kreisjugendhilfeausschuss über Auswirkungen frühkindlicher Betreuung auf die Entwicklung und Gesundheit von Kindern

Kreis Paderborn (krpb). Ab dem 1. August haben Eltern einen Rechtsanspruch auf Betreuung ihrer Kinder, wenn sie das erste Lebensjahr vollendet haben. Der U3-Ausbau im Kreisgebiet schreitet gut voran. „Die Versorgungsquote liegt aktuell bei 33 Prozent. Bis zum Sommer schaffen wir voraussichtlich 35 Prozent“, sagt Landrat Manfred Müller. Landesweit ist eine Ausbauquote von 32 Prozent vorgesehen. Doch Quantität ist nicht alles, „wir müssen den Blick auch auf die Qualität richten“, betonen der Landrat und die Vorsitzende des Kreisjugendhilfeausschusses, Maria Beckmann-Junge. Gibt es Risiken und Nebenwirkungen, wenn bereits die Kleinsten ihren Tag in einer Kindertageseinrichtung verbringen? Dr. Rainer Böhm, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin sowie Leiter des Sozialpädiatrischen Zentrums in Bielefeld-Bethel, sieht die mögliche Gefahr einer chronischen Stressbelastung. Internationale Studien belegten, dass Krippenkinder häufiger krank seien, vermehrt unter Allergien und Kopfschmerzen litten und Auffälligkeiten im Sozialverhalten zeigten. Im Jugendhilfeausschuss des Kreises warb er für Alters- und Mengenbegrenzungen. Die elterliche Betreuung sollte insbesondere in den ersten drei Lebensjahren gezielt unterstützt und gefördert werden.

Die so genannte Krippenoffensive des Familienministeriums sei vor allem von ökonomischen Aspekten bestimmt, kritisierte Böhm. „Das Kinderförderungsgesetz ist ein Wirtschaftsförderungsgesetz“, so der Kinderarzt. Der Rechtsanspruch auf Betreuung signalisiere den Eltern bereits, dass das was Gutes sein müsse. Doch müsse die hohe Bedeutung der zuverlässigen Verfügbarkeit der Eltern als primäre Bindungsperson, das vertraute familiäre Umfeld für die seelische Gesundheit von Kindern unter drei Jahren mehr Beachtung finden. Studien belegten, dass Krippenkinder sehr oft gestresst seien. Und Stress mache bekanntlich krank, könne sowohl körperliche als auch seelische Gesundheitsstörungen nach sich ziehen. Sogar mit Langzeitfolgen. Verhaltensauffälligkeiten seien noch im Alter von 15 Jahren nachweisbar. Die Studien stützen sich auf die Messung des Stresshormons Cortisol, das im Speichel der Kinder gemessen werden kann. Der Referent räumte allerdings ein, dass die Ergebnisse aus internationalen Studien stammen. „Im Deutschland befinden wir uns da im Blindflug“, meinte Böhm.

„Auf den jungen Familien lastet in diesen Tagen ein enormer Druck“, betonen Müller und Beckmann-Junge. Der Wunsch und der Bedarf, Beruf und Familie miteinander zu verknüpfen, steigen in der Bevölkerung deutlich an. Parallel dazu steige der Betreuungsbedarf. „Der Elternwille zählt“, sagt der Landrat. „Gleichzeitig brauchen Kinder gerade in den ersten Lebensjahren die Liebe und Zuwendung ihrer Eltern“, betont Beckmann- Junge. Von Böhm erhofften sich beide Impulse, wie Kinder gesund und stabil mit sicherer Bindung in der Familie und/oder den Einrichtungen heranwachsen können.

„Keine Bildung ohne Bindung“, sagt dazu Böhm. Gerade die sich in den beiden ersten Lebensjahren entwickelnde, spezifische enge Beziehung zwischen Kind und wichtigster Fürsorgeperson, idealerweise Mutter und Vater, bilde die Grundlage späterer stabiler, sozialer Beziehungen. Der Kinderarzt ist zudem Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ), die Qualitätskriterien für Kindertageseinrichtungen entwickelt hat. Böhm warb im Jugendhilfeausschuss des Kreises für Begrenzungen in der Quantität: Kinder unter zwei Jahren sollten nicht in der Gruppe betreut werden. Zwischen dem zweiten und dritten Geburtstag könnten die Kinder maximal halbtags in den Kindergarten. Der Betreuerschlüssel müsse verbessert werden. Die DGSPJ empfehle zwischen dem 1. und 2. Lebensjahr eine Betreuerin für maximal drei Kinder, für Kinder zwischen drei und vier Jahren eine Betreuerin für maximal vier Kinder. Aus Sicht der Fachgesellschaft ist mittel- und langfristig eine Fachhochschulausbildung für einen Teil der Erzieherinnen und Erzieher anzustreben. Mindestens eine Erzieherin pro Gruppe sollte über einen Fachhochschulabschluss verfügen. 


Bleibt die Frage nach der Finanzierbarkeit. Rund 20,5 Millionen Euro kostet der gesamte Ausbau der U3-Betreuung im Paderborner Kreisgebiet. Hinzu kommen die Betriebskosten: Die Betreuung von Kindern unter drei Jahren ist naturgemäß kostenintensiver. Allein der Kreisanteil für die laufenden Betriebskosten der Kindertageseinrichtungen steigt noch einmal von 14,4 auf rund 15,3 Millionen Euro pro Jahr. „Wir brauchen zusätzlich Tagesmütter und Tagesväter“, sagt Kreisjugendamtsleiter Hermann Hutsch. Nur durch diese „zweite Säule“ könnte aus seiner Sicht der Betreuungsbedarf der Kommunen gedeckt werden.
Hintergrund: Das Kinderförderungsgesetz (KiFöG) regelt den Ausbau des qualitativen und quantitativen Förderangebots für Kinder unter drei Jahren. So sollen bis 2013 für 35 Prozent dieser Kinder im Bundesdurchschnitt Plätze geschaffen werden. Das Land NRW sieht eine Ausbauquote von 32 Prozent vor. Der Paderborner Kreisjugendhilfeausschuss hat diesen Zielwert von 32 Prozent erstmalig in 2008 beschlossen und im November vergangenen Jahres auf 38 Prozent erhöht. Der stufenweise Ausbau des Angebots dient dazu, den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab einem Jahr ab 2013/2014 erfüllen zu können. Dieser kann sowohl durch einen Platz in einer Kindertageseinrichtung als auch in der Kindestagepflege abgedeckt werden.

Stand der U-3-Betreuung im Kreis Paderborn

 

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