23. September 2016

Die heimliche Sucht: Essstörungen

Andrea Schadomsky vom Paderborner Kreisgesundheitsamt informierte im Gymnasium Theodorianum in Paderborn über Anzeichen von Essstörungen und was Eltern und Angehörige sowie Betroffene tun können

Aktionstage „Sucht hat immer eine Geschichte“: Andrea Schadomsky (links im Bild) informierte auf Initiative von Simone Finke (rechts im Bild) zum Thema Essstörungen Foto: Amt für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Kreis Paderborn, Anna-Sophie Schindler) 
Aktionstage „Sucht hat immer eine Geschichte“: Andrea Schadomsky (links im Bild) informierte auf Initiative von Simone Finke (rechts im Bild) zum Thema Essstörungen Foto: Amt für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Kreis Paderborn, Anna-Sophie Schindler)

Fast 80 Prozent der normalgewichtigen Mädchen und Jungen im Alter von 11 bis 17 Jahren fühlen sich etwas oder viel zu dick. Nahezu jedes dritte Mädchen und jeder sechste Junge zeigt Symptome einer Essstörung. Unbehandelt können sich Essstörungen weit bis ins Erwachsenenalter fortsetzen. Manchmal bestimmt das Essen oder Nicht-Essen ein Leben lang den Alltag der Betroffenen. Irgendwann gibt der Körper auf. Magersucht ist die psychische Erkrankung mit der höchsten Mortalitätsrate: Bis zu 15 Prozent sterben an den Folgen jahrelanger Mangelernährung. Was sind die ersten Anzeichen? Welche Essstörungen gibt es und wie geht man damit um, wenn die eigene Tochter oder der eigene Sohn betroffen ist? Andrea Schadomsky vom Paderborner Kreisgesundheitsamt informierte in der Aula des Gymnasiums Theodorianum Paderborn über „Die heimliche Sucht: Essstörungen“, die Leben zerstören und den Alltag von Familien zur Hölle machen kann. Ihr Rat lautet: Hinsehen und sich helfen lassen. Je früher die Störungen erkannt werden, desto größer sind die Heilungschancen.
Simone Finke, Sucht- und Drogenbeauftragte des Gymnasiums Theodorianum Paderborn weiß, dass gerade die Pubertät ein Alter ist, in dem Mädchen und Jungen besonders gefährdet sind, dem vermeintlichen Schönheitsideal von „schlank und rank“ zu erliegen. Wenn das Gefühl sich einstellt, den Erwartungen anderer oder eigenen Ansprüchen nicht zu genügen, kann es passieren, dass diese inneren Spannungen auf dem „Schlachtfeld Körper“ ausgetragen werden. „Doch nicht jede Essenauffälligkeit ist gleich eine Störung“, betont Andrea Schadomsky, die im Sozialpsychiatrischen Dienst des Paderborner Kreisgesundheitsamtes Ansprechpersonin für Essstörungen ist. Zunächst müsse eine solche Störung auch als solche erkannt werden. Durch die fachliche Verankerung im Sozialpsychiatrischen Dienst „habe ich die Möglichkeit, die leitende Psychiaterin bei Fragen zu Rate zu ziehen“, sagt Schadomsky.

Grundsätzlich unterscheide man drei Hauptformen bei Essstörungen: Bei der Magersucht verlieren die Betroffenen durch Hungern oder Nahrungsverweigerung, durch übertriebene sportliche Tätigkeit oder beides zunehmend an Gewicht. Sie empfinden sich selbst dann noch als zu dick, wenn sie für alle anderen sichtbar abgemagert sind. Manche greifen zusätzlich zu Appetitzüglern oder Abführmitteln oder führen Erbrechen selbst herbei.
Die Bulimie kommt versteckter daher. Auch hier dreht sich alles Denken und Fühlen ums Gewicht und Kalorienzählen. Häufig wechseln sich Essattacken und im Anschluss herbeigeführtes Erbrechen aus Angst vor einer Gewichtszunahme ab. Die Betroffenen fallen deshalb rein äußerlich oftmals überhaupt nicht auf.

Beim so genannten Binge-Eating werden riesige Nahrungsmengen verschlungen, ohne Gegenregulieren wie Erbrechen oder exzessivem Sport. Die Betroffenen sind in der Regel stark übergewichtig und leiden unter ihrem Aussehen und Kontrollverlust. Alle Formen der Essstörungen können ineinander übergehen. Manchmal können die Symptome auch nicht klar einer Störung zugeordnet werden. Auch gibt es Vorstufen der klassischen Essstörung wie z. B. die so genannte Orthorexie. Hier wird die gesunde Ernährung zum Lebensinhalt, Genuss und Lebensfreude treten durch selbst auferlegte, strenge Regeln in den Hintergrund. Die Betroffenen haben geradezu panische Angst vor Lebensmitteln wie Pommes oder Schnitzel.
Essstörungen können viele Ursachen haben. „Ein niedriges Selbstwertgefühl, Unsicherheit, das Gefühl nicht anerkannt oder perfekt sein zu müssen, Zukunfts- und Versagensängste aber auch erbliche Veranlagung können eine Rolle spielen. In jedem Fall leiden alle, die Erkrankten und ihre Familien. Zuweilen ist auch Unverständnis mit dabei. Warum kann man eine Magersüchtige nicht einfach in ein Krankenhaus einweisen und dann zwangsernähren? „Weil das nur ein kurzzeitiges Aufpäppeln ist und der Teufelskreislauf von Essen und Erbrechen nach der Entlassung erneut beginnt“, sagt Schadomsky. Zur seelischen komme immer auch eine körperliche Komponente hinzu. Das gestörte Essverhalten hinterlässt Spuren im Körper. Bei Kindern und Jugendlichen kann zum Beispiel die Magersucht je nach Dauer der Erkrankung mit Wachstumsstörungen verbunden sein. Ganze Hirnareale können ausfallen, wenn dem Körper dauerhaft Nahrung entzogen wird. Bei Mädchen in der Pubertät kann die Regel ausbleiben. Das alles sind Schäden, die reparabel sind, wenn rechtzeitig gegengesteuert wird.

Selten gelinge ein Ausbrechen aus der Erkrankung ohne Psychotherapie. Wichtig sei, Figur und Essen nicht zu kritisieren oder dem Sohn oder der Tochter Vorwürfe zu machen. „Formulieren Sie Ihre Ängste und Sorgen. Drängen Sie als Eltern auf möglichst frühzeitigen Besuch bei einem Arzt, Psychologen oder einer Beratungsstelle“, betont Schadomsky. Es bringe nichts, sich auf Verleugnungsstrategien oder Gespräche über Essen, Mengen und Körpergewicht einzulassen. „Der Betroffene selbst muss die Einsicht haben, dass er krank ist und Hilfe braucht“, sagt Schadomsky.
Die Sozialpädagogin weiß aus ihren Selbsthilfegruppen, dass Heilung möglich ist, wenn diese Einsicht greift. Da ist die 17jährige, die in einer Wohngruppe mit Gleichaltrigen erkennt, dass sie ihr Leben wieder selbstbestimmt führen möchte und ihr Abitur nachmacht. Oder der Übergewichtige, der zur Normalfigur zurückfindet und neues Selbstbewusstsein daraus zieht.

Der komplette Vortrag mit Ansprechpersonn und Institutionen, die helfen können, kann hier eingesehen werden.

 
 
 

Ansprechpersonin