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20. Dezember 2018

„Arbeitszeit neu denken“

Netzwerktreffen familienfreundlicher Unternehmen im Kreis Paderborn: Pflege und Erziehung – wie man die Vereinbarkeit von Familien und Beruf sicherstellt und Fachkräfte bindet

Netzwerktreffen Familienfreundlicher Unternehmen 
Weg von der Präsenzkultur, hin zu flexiblen Arbeitszeitmodellen: Dr. Angela Siebert vom Kompetenzzentrum Frau und Beruf OWL (ganz links im Bild), Claudia Schäfer, stellvertretende Leiterin der Servicestelle Wirtschaft (fünfte von rechts) und links neben ihr Simone Böhmer, Gleichstellungsbeauftragte der Paderborner Kreisverwaltung, hatten zum Netzwerktreffen mit Vertretung
n der familienfreundlichen Unternehmen eingeladen, Foto Kreis Paderborn, Amt für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Michaela Pitz

Heiraten, Kinder bekommen, vielleicht ein Haus bauen oder kaufen, sich im Job etablieren oder sogar Karriere machen, sich um die pflegebedürftigen Eltern kümmern, und immer schön lächeln. Forscher nennen das die Rush Hour des Lebens und meinen insbesondere auch die Generation zwischen 30 und 40. Familienfreundliche Unternehmen haben verinnerlicht, dass sie insbesondere ihre weiblichen Führungs- und Fachkräfte nur halten können bzw. qualifizierte Beschäftigte hinzugewinnen, wenn sie darauf mit flexiblen Arbeitszeitmodellen und Rahmenbedingungen reagieren. Im Kreis Paderborn zeichnete Landrat Manfred Müller in 2017 im Paderborner Kreishaus insgesamt 27 Unternehmen mit dem Gütesiegel „Familienfreundliches Unternehmen“ aus. Nach der Zertifizierung ist vor der Zertifizierung: Das Kompetenzzentrum Frau und Beruf OWL, die Servicestelle Wirtschaft und Gleichstellungsstelle der Paderborner Kreisverwaltung luden zu einem Netzwerktreffen in das gastgebende Unternehmen neam IT-Services GmbH ein, „um voneinander und miteinander zu lernen und Impulse für den Unternehmensalltag mitzunehmen“, erläuterte Dr. Angela Siebert vom Kompetenzzentrum Frau und Beruf OWL zu Beginn der Veranstaltung.

Jede/r lebe ein anderes Leben. Also muss es so viele Arbeitsmodelle wie Leute geben.

Das Siegel „familienfreundlich“ attestiert nicht nur die Attraktivität des Arbeitgebers im Hinblick auf Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Verbunden ist damit auch die regelmäßige Teilnahme an Workshops, um von guten Beispielen und neuen Ideen profitieren zu können. Vorgestellt wurden Ansätze, wie Unternehmen Arbeitszeit gestalten können, wenn Nachwuchs da ist oder in der Familie plötzlich ein Pflegefall auftritt. Oliver Vorwick, Geschäftsführender Gesellschafter der neam IT Services GmbH, stellte gleich zu Beginn seine Unternehmensphilosophie vor: Jede/r lebe ein anderes Leben. Also müsse es so viele Arbeitsmodelle wie Leute geben.

Vorwick monierte, dass eine starke Präsenzkultur die notwendige Flexibilität des Arbeitgebers behindere und die Bindung der Beschäftigten reduziere. Die Gleichung „arbeiten von 9 bis 17 Uhr“ gehe so nicht mehr auf. Kunden gerade im IT-Bereich erwarteten eine Rund-um-die-Uhr Betreuung. Wenn Belastungen in der Familie auftreten, brauchten Beschäftigte die Möglichkeit, ihre Angelegenheiten zu regeln. Arbeitszeitkonten seien eine Möglichkeit, die eigene Arbeitszeit flexibel zu gestalten und auch für die Familie planbar und verlässlich zu sein. Das setzte beiderseitiges Vertrauen voraus. Das Angebot Home Office könne hilfreich sein, berge aber das Risiko, den Kontakt zum kollegialen Umfeld und die Identifikation mit dem Arbeitgeber zu verlieren. Der Betrieb sei auch ein sozialer Ort, an dem man Kollegen treffe, sich austausche. Und „Benefits wie frisches Obst oder Fitnessräume kann ich nun mal nicht in die Familie tragen“, sagt Vorwick mit einem Augenzwinkern.

Bereits heute gibt es mehr Pflegebedürftige als Kinder unter drei Jahren.

Kai Rosetti von der Prospektiv Gesellschaft für betriebliche Zukunftsgestaltungen mbH erläuterte, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sich in den letzten Jahren auf Kinderbetreuung konzentriert habe. Pflege sei zum Teil noch ein Tabuthema. „Dabei haben wir heute bereits mehr Pflegebedürftige als Kinder unter drei Jahren“, bekräftigte Rosetti. Pflegende Frauen reduzierten wegen der Pflege eher ihre Wochenarbeitszeit. Pflegende Männer hingegen zögen sich bei stärkerer Belastung ganz vom Arbeitsmarkt zurück. Aus seiner Sicht seien die Rechtsansprüche, kurz- und langfristige Freistellung, Teilzeit, Kündigungsschutz und Pflegeunterstützungsgeld, nicht ausreichend bekannt. Eine pflegesensible Arbeitszeitgestaltung, die beispielsweise Arbeitsunterbrechungen im Arbeitsalltag, verlängerte „Mittagspause“ für Kurzpflege, mobile Arbeitsformen oder ergebnisorientiertes Arbeiten statt Anwesenheitskultur berücksichtige, helfe beiden, Beschäftigten und Unternehmen, Phasen der besonderen Belastung im Familienalltag zu überbrücken. Eine in der Praxis erprobte Idee sei auch, Vertrauenspersonen im Unternehmen zum betrieblichen Pflegelotsen auszubilden.

Wenn sich alles nur um den Job dreht, drohen Erschöpfung und totaler Arbeitsausfall.


Professor Dr. Hermann-Josef Kruse und Eva Trompeter von der FH Bielefeld betonten, dass die Personalplanung frühzeitig und flexibel auf die verschiedenen Lebensphasen der Pflegenden eingehen müsse, um sie langfristig binden bzw. ihre Arbeitsfähigkeit bis ins höhere Alter zu erhalten. Sie stellten das so genannte FiliP- Modell (Flexible intelligente Pflegepersonal-Planung) vor, das dabei helfe, Arbeitszeit- und Schichtmodelle gerade in der Krankenhauspflege abzubilden und besser auf die Bedürfnisse von Beschäftigen eingehen zu können. Aus Befragungen wisse man, dass junge Pflegende differenziertere Bedürfnisse, z. B. aufwendige Hobbies hätten, und beispielsweise ihren Urlaub nicht ein Jahr im Voraus planen möchten. Ältere hingegen neigten dazu, ihr Leben rund um den Beruf zu organisieren. Das Risiko für Beschäftigte und Arbeitgeber: „Letztlich dreht sich alles nur noch um den Job. Private Verpflichtungen werden absagt und die Erschöpfung führt in Krankheit und totalen Arbeitsausfall“, so die Referenten.

Lebensphasenabhängige und individuelle Bedürfnisse erschwerten die Planung zusätzlich. Während einige verlässlich lieber mal eine Woche frei nehmen und keine Nachtschichten oder Wochenenden arbeiten möchten, bevorzugen andere zwischendurch ein paar freie Tage, Spätschichten bzw. gerade Wochenenddienste, damit sie in der Woche über flexibler sind. Diese unterschiedlichen Bedürfnisse dienten als Datenbasis für das FiliP-Tool, welches in Kooperation der Fachbereiche Pflege und Gesundheit sowie Ingenieurwissenschaften und Mathematik mit drei Kliniken der Region (Franziskus Hospital Bielefeld, Klinikum Gütersloh, Krankenhaus St. Johannisstift Paderborn) entstanden ist.

 
 
 

„Familienfreundliche Unternehmen im Kreis Paderborn“:
Die im Jahr 2017 teilnehmenden Unternehmen wurden in den Kategorien „Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort“, „Service und Unterstützungsangebote“, „Personal- und Organisationsentwicklung“, „Unternehmenskultur“ und „Information und Kommunikation“ bewertet. Nach einer schriftlichen Bewerbung durch die Unternehmen besuchte die Jury die Betriebe und beurteilte deren familienbewusstes Engagement nach Gesprächen mit der Geschäftsleitung, den Personalverantwortlichen und den Beschäftigten.
Die ausgezeichneten Unternehmen als auch interessierte Unternehmen haben die Möglichkeit, an themenspezifischen Netzwerktreffen teilzunehmen. Diese dienen zum einen dazu, weiteres Wissen zu erwerben und sich so auf eine Auszeichnung im Jahr 2019 vorbereiten. Zum anderen können sie sich mit anderen familienfreundlichen Unternehmen im Kreis Paderborn vernetzten und austauschen.

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