07. Mai 2020

Wegfall von Brutplätzen, fehlerhafter Flächennutzungsplan, zu hohes Prozessrisiko ohne Aussicht auf Erfolg

Kreis Paderborn genehmigt fünf Windkraftanlagen in Etteln-West und eine Anlage in Dörenhagen

Beispielbild: Windräder im Kreis Paderborn 
Beispielbild: Windräder im Kreis Paderborn

Die 11. Kammer des Verwaltungsgerichts Minden (VG Minden) hat den Kreis Paderborn mit Urteilen vom 29. Januar 2020 verpflichtet, die beantragten immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen zur Errichtung und zum Betrieb von 5 Windenergieanlagen in Etteln-West und einer Windenergieanlage in Dörenhagen zu erteilen.
Der Kreis Paderborn hatte die 5 Anlagen in Etteln-West im März 2019 aus artenschutzrechtlichen Gründen abgelehnt, weil sich zuletzt 2016/2017 dort Brutplätze von Rotmilan und Wiesenweihe befanden, die aufgrund der artenschutzrechtlichen Vorgaben noch zu berücksichtigen waren. Seit 2016/2017 wurden diese jedoch nicht mehr genutzt, so dass der Artenschutz als Ablehnungsgrund zwischenzeitlich entfallen ist. Die Bruten lägen inzwischen zeitlich soweit zurück, dass sich hieraus jetzt, im Jahre 2020, kein Genehmigungshindernis mehr ergäbe, so das VG Minden. Alle beantragten Anlagen in Etteln-West und Dörenhagen befinden sich zwar außerhalb des Teilflächennutzungsplanes „Windenergie“ der Gemeinde Borchen.

Mit der Ausweisung von so genannten Windkonzentrationszonen in Flächennutzungsplänen können Städte und Gemeinden den Bau von Windkraftanlagen räumlich steuern. Allerdings kommt das VG Minden in seinen Urteilen vom 29. Januar 2020 jedoch zum Ergebnis, dass weder die Ausschlusswirkung des Teilflächennutzungsplanes vom 25. Juni 2019 noch die 8. oder 23. Änderung des Flächennutzungsplanes der Gemeinde Borchen (Altplanung) dem Vorhaben entgegenstehen würden. Die Planung der Gemeinde weise erhebliche und beachtliche Mängel im Abwägungsvorgang auf. Es mangele an einem schlüssigen gesamträumlichen Planungskonzept für die Ausweisung von Windkonzentrationszonen. In der Konsequenz hat das Gericht den Plan für unwirksam erklärt. Da es außer dem Flächennutzungsplan, nachdem die Brutplätze nicht mehr zu beachten waren, keine weiteren Ablehnungsgründe gibt, hat der Kreis Paderborn die fünf Anlagen in Etteln-West und eine Anlage in Dörenhagen Ende April genehmigt.
Formal muss dafür das gemeindliche Einvernehmen der Gemeinde Borchen ersetzt werden.

Derzeit sind die Urteile des VG Minden noch nicht rechtskräftig, weil die Gemeinde Borchen Anträge auf Zulassung der Berufung gestellt hat. Aussicht auf Erfolg in der nächsten Instanz sieht der Kreis leider nicht:

„Das Oberverwaltungsgericht Münster legt sehr strenge Maßstäbe an die Wirksamkeit von Flächennutzungsplänen an“, erläutert der technische Dezernent des Kreises Paderborn, Martin Hübner.

Seit 2011 habe dort kein Flächennutzungsplan aus Nordrhein-Westfalen einer gerichtlichen Prüfung standgehalten. Das VG Minden habe der Gemeinde Borchen schwere Planungsfehler attestiert. Im Ergebnis habe sich der Kreis Paderborn nach eingehender Prüfung entschieden, nicht gegen diese beiden Mindener Urteile vorzugehen.

„Wir können hier doch nicht hohe Prozesskosten zu Lasten der Kreiskasse und damit im Ergebnis der anderen Städte und Gemeinde, letztlich des Steuerzahlers, produzieren, wohl wissend, dass das hier nahezu ohne Aussicht auf Erfolg ist“, bekräftigt Hübner. Zudem gilt es etwaige Schadensersatzforderungen abzuwenden.

Anders sieht es aus bei zwei weiteren Verfahren: Das Verwaltungsgericht Minden hat den Kreis Paderborn durch zwei Urteile vom 20. Dezember 2019 verpflichtet, die beantragte immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb von vier Windenergieanlagen in Etteln-Ost mit der Maßgabe betrieblicher Einschränkungen zu erteilen. Der Kreis Paderborn hatte die Anlagen im Januar 2018 bzw. September 2019 aus artenschutzrechtlichen Gründen abgelehnt, weil diese sich in der Nähe von Brutplätzen des Rotmilans und des Baumfalken sowie von Schlafplätzen des Rotmilans befinden. Das Gericht befand jedoch, dass durch weitreichende Abschaltungen sowohl das Brutplatz- als auch Schlafplatzgeschehen ausreichend Berücksichtigung fänden.

Diese erstinstanzliche Entscheidung wirft aus Sicht des Kreises grundsätzliche Fragen auf:

  • Kann der Artenschutz im Ergebnis künftig zur Nebensache werden, wenn Windräder nur lange genug abgeschaltet werden?
  • Ist ein solcher Eingriff in die Landschaft noch verhältnismäßig, wenn Windräder monatelang tagsüber stillstehen und in dieser Zeit keinen Strom erzeugen?
  • Und wie viel Wind darf es denn noch sein, damit die im Baugesetzbuch festgesetzte Privilegierung von Außenanlagen auch für Windräder weiter greift?

Der Kreis Paderborn stellte in diesem Fall deshalb Antrag auf Zulassung der Berufung beim Oberverwaltungsgericht Münster. Landrat Manfred Müller möchte in der nächsten Instanz grundsätzlich geklärt wissen, ob der Artenschutz durch Teilzeitgenehmigungen für Windräder im Ergebnis ausgehebelt werden kann.

Auf dem Gebiet der Gemeinde Borchen sind derzeit (Stand 6. Mai) weitere 23 Windräder beantragt. 22 befinden sich außerhalb der Konzentrationszonen (des vom Gericht für fehlerhaft befundenen Flächennutzungsplanes) der Gemeinde Borchen. Zwar ist ein neuer Plan in Arbeit. Das Baugesetzbuch sieht in diesen Fällen vor, dass die Genehmigungsbehörde die Entscheidung auf Antrag der Kommune für ein Jahr zurückstellen kann, in gewissen Fällen auch für ein weiteres Jahr.

Davon machen die Städte und Gemeinden regelmäßig Gebrauch. Zum Schutz der Investoren sieht das Gesetz aber auch eine Ausschlussfrist für einen solchen Zurückstellungsantrag vor. Ein solcher Antrag kann nur innerhalb von 6 Monaten gestellt werden, nachdem die Gemeinde von dem Vorhaben Kenntnis hat. Von den 23 beantragten Anlagen auf dem Gebiet der Gemeinde Borchen können nur 4 zurückgestellt werden. Von den verbleibenden 19 beantragten Anlagen wurden in der Vergangenheit bereits neun aufgrund des in 2019 abgeschlossene Flächennutzungsplanverfahrens zurückgestellt, so dass eine erneute Zurückstellung nicht mehr in Betracht kommt. Zudem sind die Antragsfristen seit langem abgelaufen.

Die Gemeinde Borchen kann gegen die Genehmigung von fünf Anlagen in Etteln-West und einer Anlage in Dörenhagen Klage erheben. „Die Entscheidung der Gemeinde Borchen, einen neuen Teilflächennutzungsplan Windenergie aufzustellen, ist eine gute. Nur so kann ungesteuerter Windkraftausbau planungsrechtlich verhindert werden“, bekräftigt Hübner.

Hintergrund:

Der Kreis Paderborn ist als untere Immissionsschutzbehörde Genehmigungsbehörde für Windkraftanlagen mit einer Gesamthöhe von mehr als 50 m. Für diese Anlagen wird ein (so genanntes) Verfahren nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz durchgeführt. Je nach Standort und je nach Anzahl wird eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) unter Beteiligung der Öffentlichkeit und der Fachbehörden durchgeführt. Der Antragsteller muss in einem solchen Verfahren ein umfangreiches Paket an Unterlagen einreichen. Zu prüfen sind beispielsweise Lärm, Schattenwurf oder auch Standfestigkeit der Anlagen. Darüber hinaus sind artenschutzrechtliche Fachbeiträge und UVP-Berichte vorzulegen. Dazu sind in der Regel weitere Sachverständigengutachten erforderlich. Erfüllt der Antragsteller alle rechtlichen Voraussetzungen, hat er einen Anspruch auf Erteilung einer Genehmigung.

Derzeit drehen sich 513 Windräder im Kreis Paderborn. 50 weitere Anlagen sind genehmigt, 84 in Planung. In der Gemeinde Borchen sind 51 Windräder in Betrieb. Neun Anlagen sind genehmigt (darunter die fünf Anlagen in Etteln-West und eine in Dörenhagen, 23 sind in Planung.

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