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Pressemeldung vom 26.03.2013

Wenn Müll einsam macht - Fachtagung zum „Phänomen der Vermüllung und Verwahrlosung“ mit Riesenresonanz im Paderborner Kreishaus -

Kreis Paderborn (krpb). In der Wohnung stapeln sich Kartons, Zeitungen, leere Konservendosen und dreckiges Geschirr. Angebrochene Lebensmittelpackungen, verschimmelte Essensreste und verstreut liegende Kleidungsstücke türmen sich auf Tischen und Stühlen. Wie kann man so leben? Ist das vielleicht sogar krankhaft? Ab wann können und müssen Behörden einschreiten, um ein solches Leben zwischen Müll und Dreck wieder in ordentliche Bahnen zu lenken? Wie kann man Betroffenen helfen? Im Rahmen einer Fachtagung zum „Phänomen der Vermüllung und Verwahrlosung“ begaben sich Experten und Entscheidungsträger gemeinsam mit rund 120 Fachleuten aus Ordnungs- und Jugendämtern, dem Gesundheitsamt, der Justiz und des Jobcenters, sowie aus Kliniken und Krankenhäusern auf Spurensuche. Landrat Manfred Müller als Gastgeber und Mitveranstalter zeigte sich überrascht über die hohe Besucherzahl. „Wenn das ein Thema im Kreisgebiet ist, müssen wir das Problem angehen“, sagte er gleich zu Beginn der Tagung.

Umgangssprachlich werden die Betroffenen oft als Messies bezeichnet. Der Begriff leitet sich aus dem englischen „mess“ ab, was mit Unordnung übersetzt werden kann. Exakte Zahlen über die Zahl der Betroffenen gibt es nicht. Denn das so genannte Messie-Syndrom ist kein eigenständiges Krankheitsbild, sondern vielmehr ein „gemeinsames Symptom, hinter der sich Vieles, auch verschiedene psychische und/oder physische Erkrankungen, verbergen können“, erläuterte die Leiterin des Sozialpsychiatrischen Dienstes des Kreisgesundheitsamtes Paderborn, Dr. Constanze Kuhnert.

„Nicht die Menschen sind verwahrlost, sondern die Wohnung“, betonte der Mediziner und Diplom-Psychologe Dr. Lothar Lindstedt aus Augsburg. Ziel seines Vortrags war es, sich dem Phänomen der Vermüllung und Verwahrlosung aus diagnostischer Sicht zu nähern. Die Wohnungs-Verwahrlosung sei ein Zustand, der mit der Unfähigkeit oder dem Unwillen verbunden sei, mit eigener Kraft oder eigenem Willen „einen gesellschaftlich tolerierten Zustand der Wohnung oder des Umfelds herbeizuführen“, so Lindstedt. Oder einfach formuliert: Verwahrlosung sei alles, „was auf dem Boden liegt.“ Und damit meinte Lindstedt wohl auch den Menschen. Das innere Chaos zeige sich äußerlich. Sowohl Drogen oder Alkohol, eine beginnende Altersdemenz, Schizophrenie oder Depression könnten dahinter stecken. Manchmal auch ein ganzes Sammelsurium an Problemen. Man müsse in jedem Einzelfall genau hinschauen, suchen. Seiner Definition von „Messie“ fügte er einen Satz hinzu, der auf den ersten Blick widersprüchlich erscheint. Auch wenn die Wohnung noch so vermüllt und verdreckt sei. „Ihr Ziel ist es, mit Würde und Selbstachtung zu leben und ihre Lebensaufgabe zu erfüllen“, betonte Lindstedt. Die Betroffenen hätten einen hohen Leidensdruck, würden sich schämen, und gerieten in die völlige Isolation. Das beginne schon damit, dass sie niemanden mehr in die Wohnung lassen. Also beispielsweise auch nicht den Kaminkehrer oder Handwerker. Irgendwann falle es dann auf. Oft seien es auch üble Gerüche, die schließlich Nachbarn auf den Plan rufen.
Einsam unter Müll: So könnte man den Zustand bezeichnen, indem sich Messies am „Ende“ ihres Weges befinden. „Diese Menschen brauchen ein funktionierendes soziales Netzwerk, das sie auffängt und ihnen Mitgefühl, Respekt und das Wissen über vorhandene organisatorische Fähigkeiten zurück bringt“, erklärte Marianne Bönigk-Schulz. Sie ist Vorsitzende des Blomberger Fördervereins zur Erforschung des Messie-Syndroms (FEM) sowie des Messie-Selbsthilfe-Netzwerkes.
Hervorgegangen ist der im Dezember 1998 gegründete Verein aus einer Selbsthilfegruppe in Horn-Bad Meinberg. Zunächst traf man sich wöchentlich in Kleingruppen, um „einfach zu reden“, erzählte Bönigk-Schulz. Es sei nicht so, dass diese Menschen nicht planen, nicht aufräumen, nicht pünktlich sein könnten. In den Selbsthilfegruppen werde versucht, gemeinsam herauszubekommen, was sie blockiere, was genau sie davon abhalte, sich selbst zu organisieren. Die Betroffenen würden wieder lernen, das menschliche Miteinander zu schätzen und Hilfe anzunehmen. Bis sie ihre alten Verhaltensweisen aufgeben und zurückkehren könnten zu dem, was tatsächlich in ihnen steckt.

Wedigo von Wedel ist Leiter des gemeinnützigen Vereins zur Förderung der freien Wohlfahrtspflege mit Sitz in München. Der Verein bietet eine ganze Reihe von Hilfen, von der ambulanten Wohnungshilfe über Wohntraining bis hin zu betreutem Einzelwohnen sowie Schuldner- und Rechtsberatung. Er betonte, dass es bei diesem Thema auch in Fachkreisen noch viel Unwissenheit und Hilflosigkeit gebe. Zudem existierten rechtliche Grauzonen, die professionelles Handeln erschweren würden. Er erinnerte daran, dass die Wohnung ein durch die Verfassung besonders geschützter Raum sei und jede Anwendung von Zwang dem Gewaltmonopol des Staates unterliege. Selbstverständlich würde dieser individuelle Schutz bei Verletzung von Rechten Dritter, z.B. Nachbarn oder Vermieter, durch Geruch, Fehlnutzung usw. entfallen. Ob der Eingriff gerechtfertigt sei, müssten die Ordnungsbehörden entscheiden. Allerdings entbinde es niemanden von der Pflicht, diesen Menschen „respektvoll und offen“ auch in solchen Wohnungen zu begegnen. Die Betroffenen hätten eine andere Sicht der Dinge. „Das Eingreifen in die äußerliche Wohnwelt bedeutet immer auch ein Eingreifen in die innere Welt der Bewohner“, so der Referent. Die Betroffenen brauchten ein großes Leistungsspektrum aus einer Hand. Für die Fachleute bedeute das, ihre Kompetenzen zu bündeln, sich weiter auszutauschen und zu qualifizieren, um Betroffenen Wege aus dem alltäglichen Chaos aufzuzeigen.

Das Treffen im Kreishaus war ein Beginn. Veranstalter waren der Kreis Paderborn, Begleitgruppen der Regionalplanungskonferenz zur Eingliederungshilfe Wohnen, die Psychosoziale Arbeitsgemeinschaft im Kreis Paderborn e.V. sowie der Verein zur Förderung der Betreuungsarbeit und Verfahrenspflege.

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