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Pressemeldung vom 27.01.2014

Kreis Paderborn ehrt stille Helden des Alltags

„Der Mann von der Straße“: Im November vergangenen Jahres sorgte sich ein ganzes Stadtviertel in Köln um einen Obdachlosen. Heinrich - so hieß er - hatte bereits seit Jahrzehnten seinen Platz im Leben, besser auf der Straße gefunden. Plötzlich war er nicht mehr da. Und es war, als ob sein Geist dem ganzen Viertel fehlte, schrieb die Süddeutsche Zeitung. Zeitungen druckten Nachrufe, die Anwohner suchten ihn per Vermisstenanzeige. Er sei doch so ein lieber Kerl gewesen. Bei der Blumenhändlerin gegenüber habe er immer sein Handy aufladen dürfen. Andere brachten ihm Getränke und Essen. Nun standen Kerzen da, wo sonst immer Heinrich saß. „Es war so, als wollte ein ganzes Viertel sich selbst versichern, dass es das noch gibt, Zusammenhalt in einer kälter werdenden Welt“, lautete ein Schlüsselsatz in diesem Artikel von dem Mann von der Straße.

Wir hier im Kreis Paderborn wissen, dass es diesen Zusammenhalt in einer kälter werdenden Welt gibt. Weil es uns jedes Jahr neu gelingt, unsere stillen Helden des Alltags - stellvertretend für viele - zu finden und zu ehren. An der wärmenden Erfolgsgeschichte des Ehrenamts schreiben viele. Der Bundespräsident hat in seiner Neujahrsansprache gesagt, dass die Ehrenamtlichen das größte Geschenk sei, das dieses Land sich selbst gemacht habe. Letztlich ist es auch ein Geschenk, das Europa sich selbst durch Wahrung von Frieden und Freiheit gemacht hat. Vor Weihnachten haben Ehrenamtler der Malteser, der Köchevereinigung, Schülerinnen und Schüler unseres Helene-Weber-Berufskollegs auf meine Anregung hin ein Adventsessen für Obdachlose organisiert, zubereitet und im Restaurant unseres Berufskollegs fachgerecht und stilvoll serviert. An der Spitze der Schulleiter. Einmal sollten diejenigen, die am Boden der Gesellschaft ihr Dasein fristen, auch die freudige Botschaft des Weihnachtsfestes und die gemeinschaftliche Solidarität der Gesellschaft genießen. O - was haben sie geschwärmt! So wie diese Aktion gibt es so viele in unserem Kreis, seien es die Helferinnen und Helfer der Paderborner Tafel, die Weihnachten Menschen mit Geschenken beglücken, die ambulanten Hospizdienste, die sterbenskranke Menschen und ihre Familien betreuen, oder die vielen Menschen, die Heimbewohnerinnen und –bewohner Tag für Tag besuchen und ihren monotonen Alltag aufhellen.
Übrigens: Der Obdachlose Heinrich war nicht verstorben. Heinrich musste auch nicht der Modernisierung des Viertels weichen, wie viele befürchteten. Heinrich war plötzlich wieder da. Er habe Mist gebaut, ließ sein Anwalt vermelden. Er habe die Spendenbüchse der naheliegenden Kirche wohl mit seiner eigenen verwechselt. Wie dem auch sei: Heinrich hat für einen Augenblick eine Stadt verändert. Und wegen der Anteilnahme vielleicht auch sich selbst.

Es gibt so viel zu tun, um menschliche Zeichen zu setzen in einer so effizienten und betriebswirtschaftlich durchgestylten Welt, wie wir sie haben. Eine Welt, die viel Einsamkeit und psychisches Leid hinterlässt, was nicht auf Krankenschein zu behandeln ist. Gott sei Dank - wir haben unsere Ehrenamtler. Und heute Abend habe ich die große Ehre, drei Kapitel aus der Erfolgsgeschichte dieses Ehrenamts öffnen zu dürfen:


Telefonseelsorge Paderborn

Wenn Sie durch die Straßen gehen, am Bahnhof stehen oder im Restaurant sitzen: Immer hat irgendwer ein Telefon am Ohr. Oder checkt grad eine SMS oder seine Mails. Die ganze Welt scheint online zu sein. Noch nie gab es so viele Möglichkeiten zu kommunizieren, immer und überall. Gleichwohl stranden im Steinbruch des Lebens immer wieder verzweifelte Menschen, die niemanden haben, der ihnen wirklich zuhört. Die niemanden haben, dem sie alles anvertrauen können. Flatrate und trotzdem Funkstille. Wie laut muss sich diese Stille anfühlen? - Die Telefonseelsorge in Paderborn mit ihren etwa 80 ehrenamtlichen Helfern sorgt seit 28 Jahren dafür, dass am Ende der Leitung – rund um die Uhr, Tag und Nacht - ein Mensch ist, der noch zuhören kann. Der Signale wahrnimmt, weil er noch schweigen kann. Über 16.000 Mal pro Jahr klingelt im Schnitt dort das Telefon. Hinzu kommen die Beratungen per Mail oder im Chat. Ob Probleme in der Partnerschaft, Einsamkeit oder Krankheit: Gründe für Lebenskrisen gibt es viele: Erschreckend hoch ist die Zahl jener, die unter psychischen Erkrankungen leiden. Im Jahresbericht 2012 ist zu lesen, dass in 45 Prozent der Gespräche Depressionen, Ängste und selbst verletzendes Verhalten eine Rolle spielen. Und natürlich rufen dort auch Menschen an, die sich mit Selbsttötungsabsichten quälen. Was für eine Verantwortung für die Helferinnen und Helfer der Telefonseelsorge. Aber auch was für eine psychische Belastung für die Helfer!

Die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können diese Gespräche nicht zuletzt deshalb führen, weil sie dafür ausgebildet werden. 15 Monate dauert eine solche Ausbildung. Auch regelmäßige Supervision durch Mentoren und qualifizierende Fortbildungsmaßnahmen gehören dazu, um diese schwierigen Situationen bewältigen zu können.

Sämtliche Gespräche werden anonym geführt. „Das bedeutet, dass keiner mit dieser Tätigkeit sich selbst lobend in der Öffentlichkeit steht. Jeder und jede wirkt im Verborgenen“, heißt es im Antrag desjenigen, der die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Telefonseelsorge als diesjährige stille Held des Alltags vorschlägt. Es komme darauf an, so der Antragsteller, diesen Menschen zu zeigen, „dass wir, dass die Gesellschaft, ihren Einsatz sehr wohl wahrnimmt und auch besonders wertschätzt“, heißt es dort wörtlich.

Genau das geschieht in diesen Minuten: Die Leiterin der Paderborner Telefonseelsorge Monika Krieg, und ihre Stellvertreterin, Pfarrerin Monika Dinger, sind heute Abend bei uns. Ja, wir nehmen das alles wahr. Ja, wir wissen das zu schätzen. - Sie überzeugen durch Stille, helfen durch Worte. Und immer wieder werden aus diesen Worten Wege. Sie geben dieser Gesellschaft Wärme und Zusammenhalt. Dafür sagen wir heute sehr laut: DANKE!


Eheleute Renate und Konrad Bröckling


Ich bitte die Älteren hier im Raum einmal nachzudenken, wo sie mit 48 Jahren standen. Welche Pläne hatten sie? Was wollten Sie im etwas reiferen Erwachsenenalter noch alles bewegen? – Ich bitte die Jüngeren hier im Raum einmal nachzudenken, wo sie mit 48 Jahren sein möchten. Welche Träume haben sie? Was möchten sie mit ihrem Leben machen, wo mit 48 Jahren stehen?
Sie werden sicher vieles auf dem Block haben. Aber eines nicht. Dass sie krank werden. Dass ein Schlaganfall ihr Leben auf den Kopf stellt. Für immer verändert. Renate Bröckling traf dieser „Schlag aus heiterem Himmel“, wie sie es selbst einmal formuliert hat, mit 48 Jahren.

Ich erinnere mich sehr gut, wie sie gemeinsam mit ihrem Mann Konrad bei einer unserer Pressekonferenzen zu einem Aktionstag gegen den Schlaganfall erzählte, wie sich das angefühlt hat. Dass sie nur mühsam ins Leben zurückgefunden habe. Dass es im „Leben danach“ nicht sichtbare Handicaps gebe, die für Außenstehende kaum nachvollziehbar seien. Handicaps wie Konzentrationsprobleme, Gedächtnisprobleme, Schmerzen und Schreckhaftigkeit. „Aus Dankbarkeit“, weil sie überlebt, sich ihren Alltag weitgehend zurückerobern konnte, gründete sie mit ihrem Mann im Mai 2000 eine Schlaganfall-Selbsthilfegruppe. Für beide war die Arbeit in der Gruppe auch Therapie, sagten sie damals. Heute wollen beide Betroffenen Mut machen, nicht aufzugeben. Aufklären über diese Krankheit, die von einer Sekunde zur anderen bislang Gesunde tötet oder zu Behinderten macht. Wussten Sie, dass der Schlaganfall bei Erwachsenen die häufigste Ursache für Behinderungen ist? Betroffene wissen, dass mit Verlassen des Krankenhauses ein langer, mühseliger Weg beginnt. Die soziale Isolierung droht. In einem Rollstuhl fährt man nicht mal eben zu einer Grillparty oder ins Konzert. Man wird auch seltener eingeladen, weil schon die Treppenstufen im Eingangsbereich zu unüberwindbaren Hindernissen werden.

Die Selbsthilfegruppe setzt genau hier an. Das Ehepaar Bröckling ist ehrenamtlich als Geschäftsführerin und Vorsitzender tätig. Derzeit hat die Gruppe etwa 60 Mitglieder. Es gibt Gesprächs- und Kegelabende, Fachvorträge, Ausflugsfahrten zu Firmen oder wie im vergangenen Jahr zum Landtag. Geboten werden auch ein wöchentliches Gedächtnistraining, monatliche Sprechstunden im Landeshospital sowie regelmäßige telefonische Beratungen für Betroffene und Angehörige. Ganz wichtig ist auch die Zusammenarbeit mit Sportvereinen, da der Sport hilft, sich ein Stück vom verlorenen Alltag zurückzuerobern.

Ohne das Ehepaar Bröckling gebe es diese Selbsthilfegruppe nicht, heißt es in der Antragsbegründung. Viele Betroffene hätten dann nicht diesen Anlaufpunkt. Ein Anlaufpunkt, der für viele zum rettenden Anker wird: Liebe Frau Bröckling, ich bewundere Ihren Mut, mit Ihrer Erkrankung an die Öffentlichkeit zu gehen. Lieber Herr Bröckling, ich danke Ihnen und Ihrer Frau, dass Sie vielen Betroffenen helfen, zurückzufinden zu einem möglichst selbstbestimmten Leben, Lebensfreude zu entwickeln. Ich danke Ihnen auch sehr für Ihre engagierte Mitarbeit in der Arbeitsgruppe „Paderschlag – Schlaganfall ein Notfall“ unter Leitung von Professor Dr. Postert unter dem Dach der Kommunalen Gesundheitskonferenz, die seit 2006 den Kampf gegen den Schlaganfall führt.
„Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen“, hat Johann Wolfgang Goethe einmal gesagt. Sein Sohn August starb wohl an einem Schlaganfall. Davon soll sich der Vater nie so richtig erholt haben. Der Schlaganfall zählt zu den Geißeln der Menschheit. Heute sind wir weiter: In der Prävention, der Diagnostik und der Behandlung. Renate und Konrad Bröckling helfen dabei, dieses lebenswichtige Wissen weiterzugeben.
Liebe Frau Bröckling, lieber Herr Bröckling, die Steine waren groß und mächtig. Ihre Liebe zueinander, ihre Liebe zum Mitmenschen, ihr unbedingter Wille, anderen zu helfen, das ist es, was den Menschen ausmacht und ihn auch aus solchen Steinen Kathedralen bauen lässt.

Bernhard Kroll


Wie ein roter Faden zieht sich durch die Biographien der stillen Helden des Alltags in diesem Jahr die Erkenntnis, dass die menschliche Existenz fragil ist. Dass das Leben macht, was es will, Pläne zulässt oder durchkreuzt. Nach einem Muster, das wir nicht verstehen. Das trifft auch auf Hildegard und Bernhard Kroll zu. Als sie sich ihr „Ja“ gaben, brachen sie auf in ein neues Leben. Sie blickten nach vorn. Wie jedes junge Ehepaar erträumten sie sich ihr kleines Stück vom Glück. Bis zur Diagnose. Bernhard Kroll pflegt seine erkrankte Frau seit 35 Jahren. „Mit großer Umsicht und persönlicher Aufopferung“, heißt es in der Antragsbegründung. Er sorge dafür, dass seine Frau so weit wie möglich am gesellschaftlichen Leben teilnehmen könne. Ein ganzes Dorf bewundere seine überaus liebenswerte Fürsorge.

Lieber Herr Kroll: Nicht nur Kleinenberg, auch wir bewundern Ihre liebenswerte Fürsorge. Wir bewundern voller Respekt das Band des Zusammenhalts, das Sie beide dieses schwere Schicksal gemeinsam meistern lässt.
Elie Wiesel, der den Holocaust überlebt hat, hat einmal gesagt: Wir müssen dem Menschen zum Trotz an den Menschen glauben. Lieber Herr Kroll, Menschen wie Sie lassen uns an den Menschen glauben. Menschen wie Sie lassen uns hoffen, dass Veränderung zum Guten möglich ist. Und dass es der Menschheit eines Tages gelingen könnte, nicht nur in Europa die Zukunft dauerhaft friedlich zu gestalten. Welche geheimnisvolle Kraft das zu leisten vermag, zeigen uns Menschen wie Bernhard Kroll. Liebe. Durch die Kraft der Liebe.

 

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