20. Juni 2024
Neuer GeDenkOrt auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Niederhagen erweitert Kreismuseum Wewelsburg
Anneliese Röhr erinnert sich, als wäre es gestern gewesen. Mit ihren drei Kindern musste die heute 92-Jährige gehen. Unfreiwillig alles zurücklassend, ihrer Heimat in Pommern den Rücken kehrend, stieg sie in einen Transporter, der sie in ein neues, unbekanntes Leben brachte. Nach 15 Jahren in Mecklenburg wurde schließlich Wewelsburg ihr neues Zuhause. Weihnachten 1960 zog die Familie an diesen geschichtsträchtigen Ort – in die Baracke auf dem ehemaligen Gelände des Konzentrationslagers Niederhagen.
Der Ort, der Geschichte schrieb, war seit seiner Errichtung in den Jahren 1941/1942 vielen Menschen eine Bleibe, die auf unterschiedliche Weise Zwangsdeportation erleiden mussten. Heute ist dieser Ort ein Ort des Gedenkens, der Mahnung, des Erinnerns. Nach achtjähriger Bauzeit gibt die ehemalige Häftlingsküche heute als öffentlich zugänglicher GeDenkOrt das frei, was in der Vergangenheit passierte.
Im Beisein von Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen, Landtagspräsident André Kuper und Landrat Christoph Rüther wurde die neue Dauerausstellung des Kreismuseums Wewelsburg jetzt offiziell ihrer Bestimmung übergeben.
„Die Wewelsburg in Büren prägt als einzigartige Dreiecksburg seit der Renaissance das Bewusstsein von Heimat im Paderborner Land. Die Wewelsburg war aber auch ein Ort der Täter. Im ehemaligen Konzentrationslager Niederhagen-Wewelsburg verübten die Nationalsozialisten schrecklichste Verbrechen. Die Wewelsburg ist auch ein Ort der Opfer, die nicht in Vergessenheit geraten dürfen. Immer weniger Menschen beschäftigen sich mit den dunklen Seiten unserer Geschichte und mit den dunklen Seiten unserer Heimat. So wird aus einem GeDenkOrt ein Denk-Ort: Gerade in der heutigen Zeit, in der unsere Demokratie durch radikale politische Strömungen bedroht wird, sind Orte wie dieser wichtiger denn je“, sagte Ministerin Ina Scharrenbach.
„Es sind Orte, die unverzichtbar sind für all unsere Anstrengungen - heute wie morgen -, nämlich dass sich genau jene Geschichte niemals wiederholen mag“, ergänzte Landtagspräsident André Kuper.
Was haben die Menschen hier erlebt? - Am neuen Gedenkort ist es jetzt möglich, einzutauchen in Biografien und Familiengeschichten.
Mit dem jetzt eröffneten GeDenkOrt erweitert das Kreismuseum seine Ausstellungsfläche der Erinnerungs- und Gedenkstätte Wewelsburg 1933-1945 um ein originales, historisches Gebäude auf dem Gelände des ehemaligen KZ Niederhagen, das aufgrund seines Stellenwerts als historisches Bauwerk von nationaler Bedeutung 2016 unter Denkmalschutz gestellt wurde.
Die Dauerausstellung präsentiert die Geschichte des ehemaligen Lagergeländes inklusive seiner Nachnutzungen und erzählt die Schicksale der Menschen, die mit dem Barackenlager in Verbindung standen. Sie wurden als KZ-Häftlinge, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, Umsiedlerinnen und Umsiedler nach Wewelsburg deportiert. Nach dem Krieg wurden Flüchtlings- und Vertriebenenfamilien in dem Barackenlager untergebracht. Der neue GeDenkOrt informiert somit über Zwangsmigration im 20. Jahrhundert und fragt nach dem Umgang mit den baulichen Überresten ehemaliger NS-Verbrechensorte.
Dankbar und stolz auf die Erweiterung der Erinnerungs- und Gedenkstätte Wewelsburg ist Landrat Christoph Rüther. „Wir haben ab sofort die Möglichkeit, neue Vermittlungsansätze für die Gedenkstättenpädagogik und nachhaltiges Lernen zu bieten und können jungen Menschen einmal mehr verdeutlichen, wie wichtig es ist, dass sich unsere dunkle Geschichte niemals wiederholen darf“.
Staatliche Verfolgung, Kriege, Flucht und Vertreibung sind heute brandaktuelle Herausforderungen, von denen Millionen von Menschen auf der Welt betroffen sind. Dr. Stefan Mühlhofer, Vorsitzender des Arbeitskreises NS-Gedenkstätten in NRW, unterstreicht deshalb ausdrücklich, dass auch fast 80 Jahre nach Ende des zweiten Weltkriegs NS-Gedenkstätten unabdingbar sind. „Die aktuellen Entwicklungen zeigen uns gerade sehr eindrücklich, dass wir wachsam sein müssen“.
„In Wewelsburg stellen wir uns diesen Herausforderungen“, betont Museumsleiterin und Projektverantwortliche Kirsten John-Stucke.
Die neue Ausstellung besteht aus sechs Themenbereichen, die in Frageform auf das Gebäude, das Lagergelände und seine Geschichte, den erinnerungskulturellen Umgang mit dem Lager und seiner Geschichte sowie die Lebenswege jener Menschen eingehen, die mit dem Gelände verbunden waren. „Am neuen GeDenkOrt ist es jetzt möglich, einzutauchen in Biografien und Familiengeschichten und sich selbst die Frage zu stellen: „Wie betrifft mich das Thema und die Geschichte von damals heute?“, erklärt John-Stucke. In einem eigens dafür vorgesehenen Raum können Besuchende ihre Gedanken und Meinungen äußern und verschriftlichen.
Die Zugänge zum Gebäude sind barrierefrei. Finanziell unterstützt wurde das Projekt von der Europäischen Union, dem Land NRW, dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe und dem Kreis Paderborn.
Die neue Ausstellung im GeDenkOrt des Kreismuseums ist durchgängig zweisprachig (Deutsch und Englisch) konzipiert. Medien- und Audiostationen vertiefen die Ausstellungsinhalte.
Der neue GeDenkOrt wird zukünftig im Rahmen von Besucherrundgängen und Seminaren für Besuchergruppen zugänglich sein. Ab Juli werden jeden 3. Samstag im Monat, von 14 – 17 Uhr, für Einzelbesuchende historische Einführungen zur Baugeschichte und zum Thema Zwangsmigration gegeben. In diesem Monat ist der GeDenkOrt am Sonntag, den 23. Juni von 11 – 17 Uhr und am Samstag, den 29. Juni von 15 – 16. 30 Uhr geöffnet.
Der Besuch ist ab 14 Jahren geeignet und kostenfrei.
Kreis Paderborn
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