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Pressemeldung vom 20.11.2012

Wie Dörfer wieder jünger werden - Experten aus Wissenschaft und Praxis diskutierten bei der Dorfentwicklungskonferenz des Kreises über Zukunft des ländlichen Raumes –

Kreis Paderborn (krpb). Die Dorfkerne und Ortsmitten mit ihren oft historischen Gebäuden und lebhaften Plätzen bildeten jahrzehntelang die Identität der Ortschaften. Dieses Bild verändert sich dramatisch in diesen Tagen: Leer stehende Geschäfte, Häuser, die zu verfallen drohen, weil ihre älteren Bewohner weder physisch noch finanziell in der Lage sind, sich darum zu kümmern, ganze Straßenzüge, wo ein 70jähriger der jüngste Einwohner ist: Wie schafft man es, „neues Leben in alte Mauern zu bringen?“ Unter diesem Thema diskutierten in Lichtenau-Herbram Fachleute aus Wissenschaft und Praxis im Rahmen der Dorfentwicklungskonferenz des Kreises Paderborn. Zur Konferenz eingeladen hatte Landrat Manfred Müller, der statt schwarzzumalen den Blick vielmehr auf die Stärken und Potenziale der Dörfer richten wollte.

Frei stehende Häuser oder Wohnungen auf dem Lande könnten auch für Studenten aus- und umgebaut werden werden, die in Paderborn dringend preiswerten Wohnraum suchen, bekräftigte der Landrat noch einmal am Abend. Lichtenaus Bürgermeister Dieter Merschjohann meinte dazu, dass Herbram gefühlte 300 km und acht Flugstunden von Paderborn entfernt liege. Tatsächlich brauche man ganze 15 Minuten mit dem Bus oder neun Minuten mit dem Auto. „Herbram hat Zukunft“, bekräftigte Merschjohann. Nach Gold im Kreiswettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ sei die intakte Dorfgemeinschaft und der Wille der Menschen, etwas für ihr Dorf zu tun, auf Landesebene mit der Siegermedaille gewürdigt worden. Gemeinsam mit Ortsvorsteher Volker Jung, MdL, zeigte er sich überzeugt, dass die Dörfer durch ein Wir-Gefühl und eine Anpackkultur lebens- und liebenswert blieben. Dazu müsse aber auch die Infrastruktur ausgebaut werden.

Prof. Dr. Theo Kötter stellte zunächst fest, dass die Dörfer ihre Bedeutung als zentrale Treffpunkte durch den wirtschaftlichen und demographischen Strukturwandel verloren hätten. Man wohnt auf dem Lande, fährt aber zur Arbeit oder zum Einkaufen in der Regel in die Stadt. Kötter ist Professor für Städtebau und Bodenordnung am Institut für Geodäsie und Geoinformation der Universität Bonn. Er schlägt vor, die Ortskerne durch neue Wohnformen zur revitalisieren. Dazu zählen beispielsweise Mehrgenerationenhäuser, familien- und altengerechte Wohnungen in der Dorfmitte sowie Servicewohnen. Das Wohnumfeld müsse aufgewertet, das kulturelle Erbe und Charakteristische der Dörfer bewahrt werden. Starker Durchgangsverkehr mit entsprechender Lärmbelästigung, leer stehende Häuser und ungepflegte Brachflächen würden den Wohnwert erheblich mindern. Hier müsse ein Ausgleich zwischen Entwicklung und Bewahrung gefunden werden. Das hieße konkret dann auch, ungenutzte und baufällige Häuser abzureißen und durch neue zu ersetzen. Nur: Wer zahlt das, wenn die Jungen gehen und die Älteren zurück bleiben, die weder das Geld noch die Kraft dazu haben? Die Diplomingenieurin Friederike Lülff sprach in diesem Zusammenhang von einem initiierten Schrumpfungsprozess. Sie kümmert sich seit 2010 im Kreis Lippe um den Leerstand in Dörfern und setzt auf Vernetzung der Kommunen. So hat sie eine Datenbank eingerichtet, in der Eigentümer ihre leer stehenden Wohn- und Gewerbegebäude registrieren können. Viele wüssten nicht, was sie mit ihrer Immobilie anfangen könnten, welchen Wert sie überhaupt habe. Hier versucht sie auch durch Öffentlichkeitsarbeit Angebot und Nachfrage zusammen zu bringen.

Die Gemeinde Hiddenhausen setzt auf das Förderprogramm „Jung Konferenzkauft Alt“, das junge Familien finanziell unterstützt, die eine mindestens 25 Jahre alte Immobilie erwerben. Andreas Homburg, Amtsleitung Gemeindeentwicklung der rund 19.700 Einwohner zählenden Gemeinde, kann eindrucksvolle Erfolge vorweisen. Der kontinuierliche Wegzug von Einwohnern in Hiddenhausen (in 2007 waren es noch 203, die den Ort verließen) konnte gestoppt, in 2010 und 2011 sogar wieder drei bzw. vier zuziehende Einwohner begrüßt werden. Auch die Zahl der 3-bis 5jährigen Kinder nahm von 426 in 2007 auf 497 in 2011 kontinuierlich zu. „Das freut uns besonders, denn diese Kinder gehen später zur Grundschule und sichern den Schulstandort“, betont Homburg. Für Hiddenhausen habe es sich gelohnt, Architekten, Stadt- und Landschaftsplaner sowie Immobilienmakler und Baufinanzierer an einen Tisch zu bringen. „Wir wollen als Gemeinde nichts verkaufen sondern durch unser Förderprogramm anstoßen“, so Homburg, der eine „win-win-win-Situation“ ausmacht. Ältere Menschen könnten sich freuen, weil der Wert ihrer Immobilie nicht weiter nach unten gehe. Junge Familien bekämen die notwendigen Hilfen an die Hand. Gleichzeitig werde die Infrastruktur des Ortes gesichert.

Professor Dr. Gerhard Henkel hielt zum Abschluss ein flammendes Plädoyer für das Leben auf dem Lande. Er sei einmal gefragt worden, ob früher in den Dörfern alles besser gewesen, wie gut die angeblich schöne alte Zeit tatsächlich gewesen sei. „Da musste ich nicht lange überlegen“, sagte Henkel und zählt die Pluspunkte des Dorfes in diesen Tagen auf: Ausbau der Infrastruktur in Form von vernünftigen Straßen, Telefon und Toiletten, Internet, Ärzte, Dorfladen, ein Plus an Sport- und Freizeitstätten, kulturelle Einrichtungen, Wegfall der schweren, körperlichen Arbeit, Abwesenheit von bitterster Not und Armut. „Das Dorf befindet sich in der erfolgreichsten Phase seiner Geschichte“, meinte Henkel. Eine Untersuchung habe ergeben, dass die meisten Vorstände der DAX-Unternehmen vom Lande stammten. Warum ist das so, habe man sich gefragt. Weil die Menschen auf dem Lande eine höhere emotionale und soziale Kompetenz, ein höheres Arbeitsethos besäßen, meint Henkel. In diesen Tagen sei geradezu eine Sehnsucht nach dem Leben auf dem Lande auszumachen. Das alles müsse genutzt werden. Die Menschen seien das größte Potenzial für die Entwicklung einer Region. Die „stacheligen Landfrauen“, die für das musikalische Rahmenproramm sorgten, formulierten es im Chor: „Es liegt an uns, ob sich was dreht“.

Alle Vorträge können im Internet hier eingesehen werden.

Bildunterzeile (Bild rechts):

Professor Dr. Gerhard Henkel hielt ein flammendes Plädoyer für das Leben auf dem Lande

 

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