Kreis Paderborn (krpb). Bis heute glauben viele Menschen, die SS-Organisation Lebensborn sei eine „Zuchtanstalt“ gewesen, in der ausgesuchte Frauen und Männer zusammengeführt wurden, um Kinder zu zeugen. Diese Vorstellung kursierte schon in der NS-Zeit und hält sich hartnäckig bis heute, „obwohl sie ins Reich der NS-Legenden gehört und nachweislich nicht der Realität entspricht“, sagt die Autorin und Journalistin Dr. Dorothee Schmitz-Köster. Sie recherchierte in Archiven, führte Interviews mit Lebensborn-Müttern sowie Mitarbeitern der Entbindungs- und Kinderheime und zeichnete Lebenswege der dort geborenen Kindern nach. In ihrem Vortrag am Donnerstag, 11. Juli, um 19 Uhr im Burgsaal der Wewelsburg wird Schmitz-Köster zum Thema „Lebensborn – lebenslang. Der Mythos, die Realität und die Folgen“ berichten. Der Eintritt ist frei.
Die SS-Organisation wurde 1935 auf Initiative von Heinrich Himmler, Reichsführer SS, als Verein gegründet, um das „gute Blut“ zu schützen und zu vermehren, wie es in den Vereinsstatuten hieß. „Gutes Blut“ besaßen nach Auffassung der selbst ernannten Rassespezialisten diejenigen, die „arisch“, gesund und erbgesund waren und dies mit entsprechenden Dokumenten („Ariernachweis“, Gesundheits- und Erbgesundheitszeugnis) belegen konnten.
Um ihr Ziel zu realisieren, eröffnete die SS-Organisation seit 1936 Entbindungs- und Kinder-Heime: In Deutschland wurden zunächst neun solcher Einrichtungen gebaut. Mit Kriegsbeginn kamen weitere in Österreich, Norwegen, Belgien, Luxemburg und Frankreich hinzu. In den insgesamt 15 Heimen konnten Frauen „guten Blutes“, die einen ebensolchen Kindesvater vorweisen konnten, die letzten Schwangerschaftsmonate verbringen und ihre Babys zur Welt bringen. In ruhiger, komfortabler Umgebung und unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit. Es war ein Angebot, das viele unverheiratete „Lebensborn-Mütter“ nutzten: Sie wurden wegen ihrer Schwangerschaft diskriminiert und nahmen deshalb die vom Lebensborn gebotene Möglichkeit wahr, die Geburt, den Kindesvater und manchmal sogar das Kind geheim zu halten.
Dazu wurden eigene Melde- und Standesämter geschaffen. Der Verein übernahm die Vormundschaft für außerehelich geborene Kinder und trug die Namen von Kindesvätern nicht in amtliche Dokumente ein – obwohl die Väter bekannt waren, die Vaterschaft anerkennen und auch Alimente zahlen mussten. Ehefrauen, die im Lebensborn entbanden, stammten häufig aus dem SS-Umfeld und nutzten die Ruhe und die gute Versorgung in den abgelegenen Lebensborn-Heimen.
Am Kriegsende wurden die Heime aufgelöst. Viele Dokumente wurden sichergestellt und landeten in normalen Ämtern und in Archiven. Doch viele Dokumente – darunter die Vaterschaftsakten – gingen verloren oder wurden verbrannt. Die meisten Mütter schwiegen, aus Scham über ihre Verbindung zur SS, aus Angst vor Diskriminierung – und manchmal auch um ihr Kind zu schützen. Denn die meisten Mädchen und Jungen wuchsen bei ihren oft alleinerziehenden Müttern auf. Das Schweigen der Mütter aber setzte für die Kinder das Geheimnis fort, das um ihre Geburt gemacht worden war. Sie erfuhren nicht, wo sie geboren waren, und sie erfuhren nichts über ihren – angeblich im Krieg gefallenen – Vater. Dieses Schweigen belastete und prägte ihr Leben oft dauerhaft und lässt manche Lebensborn-Geborene bis heute verzweifelt nach ihren Wurzeln suchen.
Dorothee Schmitz-Köster erforscht seit Jahren das Thema Lebensborn. Sie hat umfangreiche Archivstudien betrieben und mit Lebensborn-Müttern und -Angestellten gesprochen. Sie hat den Alltag der Heime erforscht und recherchiert seit Jahren über Lebensborn-Kinder und ihre unterschiedlichen Biografien, in West- und Ostdeutschland, in Norwegen, Polen, Tschechien. In ihrem Vortrag zeichnet sie ein Bild der SS-Organisation, berichtet vom Leben im Lebensborn-Heim und erzählt von Kindern, die dort auf die Welt kamen, die dem Lebensborn übergeben oder die (aus anderen Ländern stammend) mit Hilfe des Lebensborn zwangsweise germanisiert wurden.
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