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16. November 2016

200 Jahre Kreis Paderborn: „Brücke zwischen Staat und Kommunen“

200 Jahre Kreis Paderborn in zwei Stunden: Dieses Kunststück gelang bei der Geburtsfeier im Großen Sitzungssaal des Kreishauses Paderborn

Reinold Stücke (Landrat von 1993 bis 1999), Dr. Rudolf Wansleben (Oberkreisdirktor von 1993 bis 1999 und Landrat von 1999 bis 2004), Landrat Manfred Müller, Werner Henke (Oberkreisdirektor von 1965 bis 1992), dahinter: Wilhelm Grabe (Archivar Kreis Paderborn), Dr. Stephen Schröder (Archivar Rhein-Kreis-Neuss) und Dr. Hansjörg Riechert (Archivar Kreis Lippe). (Foto: Amt für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Kreis Paderborn) bei der „Geburtstagsfeier“ im Kreishaus Paderborn 
Reinold Stücke (Landrat von 1993 bis 1999), Dr. Rudolf Wansleben (Oberkreisdirktor von 1993 bis 1999 und Landrat von 1999 bis 2004), Landrat Manfred Müller, Werner Henke (Oberkreisdirektor von 1965 bis 1992), dahinter: Wilhelm Grabe (Archivar Kreis Paderborn), Dr. Stephen Schröder (Archivar Rhein-Kreis-Neuss) und Dr. Hansjörg Riechert (Archivar Kreis Lippe). (Foto: Amt für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Kreis Paderborn) bei der „Geburtstagsfeier“ im Kreishaus Paderborn

Landrat Manfred Müller eröffnete den Reigen der Redner vor zahlreich geladenen Gästen mit einem historischen Rückblick, der die eine oder andere Schattierung der Gegenwart durchblitzen ließ. Diskussionen um Landräte habe es immer gegeben. Zum Beispiel, als in 1843 ein nichtadliger Landrat werden sollte, was auch geschah. Dieser blieb sogar 25 Jahre, auch wenn der damalige König gemeint habe, dass es der „hässlichste Landrat“ war, den er je gesehen habe. Der kantige Freiherr vom und zum Stein habe im 19. Jahrhundert mit seiner kommunalen Selbstverwaltung Einiges bewegt. Und vielleicht laufe es insgesamt in Deutschland so gut, weil dezentrale Aufgabenwahrnehmung so gut funktioniere. Erst recht, wenn sie demokratisch gelenkt und gekoppelt sei. Missverstanden werde jedoch manchmal, „dass unsere Aufgaben zwar bürgernah wahrgenommen werden – darauf legen wir wert. Aber dass sie juristischen Vorgaben unterliegen, das wird manchmal vergessen“, so Müller wörtlich. Freiheit und Demokratie seien nicht selbstverständlich. Populismus, Intoleranz, Aggressivität im politischen Diskurs, hohe Emotionalität, auch im zwischenstaatlichen Dialog gefährdeten die Demokratie. „Die Kreise sind ein stabilisierendes Element, eine Brücke zwischen Staat und Kommunen“, unterstrich der Landrat. In einer zunehmend komplexer, unüberschaubar werdenden Gesellschaft und Rechtsordnung seien orts- und bürgernahe Institutionen wichtig. Wenn Vertrauen in Staat und öffentliche Verwaltung, in deren rechtsstaatliches Handeln verloren gingen, könnten die negativen Folgen gravierend sein, warnte der Landrat. Wobei ihm klar sei, dass häufig genug Entscheidungen umso weniger akzeptiert würden, je mehr man davon betroffen sei.

Wilhelm Grabe, Historiker und Archivar des Kreises Paderborn, beschrieb die Geburtsstunde der rheinischen und westfälischen Kreise: Nach der Niederlage Frankreichs in der Völkerschlacht bei Leipzig im Oktober 1813 brach das napoleonische Herrschaftssystem wie ein Kartenhaus zusammen. Die nachrückenden Preußen richteten zunächst Übergangsbehörden ein. Per Federstrich wurden die französischen Amtsbezeichnungen ins Deutsche übertragen und somit die Maires zu Bürgermeistern, die Unterpräfekten zu Landräten oder Kreisdirektoren umdeklariert. Europa wurde auf dem Wiener Kongress neu geordnet. Beide Provinzen, das Rheinland ebenso wie Westfalen, waren „Kunstgebilde“ und vereinigten zahlreiche ehemals eigenständige Territorien mit höchst unterschiedlichen politischen, wirtschaftlichen und konfessionellen Verhältnissen. In den drei preußischen Westprovinzen entstanden1816 insgesamt 101 landrätliche Kreise, umgerechnet auf das heutige Nordrhein-Westfalen 75. Die 1816 ernannten Landräte waren im Durchschnitt knapp über vierzig Jahre alt. Etwa zwei Drittel konnten auf langjährige Erfahrungen in Justiz und Verwaltung zurückblicken. Mehr als die Hälfte der Landräte hatte sogar studiert, in den allermeisten Fällen Rechts-, Kameral- oder Staatswissenschaften. Gut 15 Prozent der Landräte hatten durch eine Laufbahn beim Militär oder bei der Gendarmerie an höherer Stelle auf sich aufmerksam gemacht, erläuterte Grabe. Natürlich gab es auch damals bereits so etwas wie eine Dienstanweisung: „Die Landräte sollten bei den unteren Bevölkerungsklassen für sittliche Besserung und kirchliche Zucht wirken und sich um das Schulwesen kümmern. Sie sollten sich ferner um Gewerbe und Landwirtschaft sorgen, die Infrastruktur verbessern und Wirtschaftsförderung betreiben. Zu ihrem Aufgabenbereich gehörte das Geschäft der Rekrutenaushebung ebenso wie die Mitwirkung bei der Feststellung der Steuern und Erledigung von Steuerreklamationen“.

Dr. Stephen Schröder, Archivar des Rhein-Neuss-Kreises, skizzierte zunächst die Kreisordnung von 1886 als Geburtsstunde der modernen Kreisverfassung. Sie bildete das Fundament, auf dem die westfälischen Kreise und somit auch diejenigen in Büren und Paderborn sich in den kommenden knapp 50 Jahren bis zum Beginn des „Dritten Reiches“ in 1933 entwickelten. Gekennzeichnet sei diese Epoche durch eine signifikante Aufgabenvermehrung, welche mit einem Zuwachs an Personal und Finanzmitteln einherging.
In den Kreisen Büren und Paderborn konzentrierte man sich bis 1914 auf den Ausbau der Infrastruktur. So wurden im Kreis Paderborn 120 Kilometer Kreisstraßen gebaut, im verkehrsmäßig vergleichsweise schlecht erschlossenen Kreis Büren waren es allein bis 1895 sogar 203 Kilometer. Hinzu kamen der Eisenbahnausbau und die Versorgung des ländlichen Raums mit elektrischer Energie. Der erste Weltkrieg habe die „Heimatfront“ auch im hiesigen Raum massiv in das Kriegsgeschehen mit einbezogen, auch wenn die eigentlichen Kampfhandlungen fernab des Paderborner Landes stattfanden, erläuterte Schröder. Alle preußischen Kreise seien mit Aufgaben der sozialen Fürsorge und Wohlfahrt betraut worden, etwa im Rahmen der Familienunterstützung oder der Kriegsbeschädigten- und Kriegshinterbliebenenfürsorge. In erster Linie musste jedoch die Bevölkerung erst einmal mit Lebensmitteln versorgt werden. Was im Frieden durch den freien Markt geregelt wurde, musste unter den Bedingungen eines weithin globalen Krieges, der das Deutsche Reich von den Weltmärkten zunehmend abschnitt, zentral durch die Verwaltungen geregelt werden. In beiden Kreisen wurden so genannte Kreisgetreidestellen eingerichtet. In der Zeit der Weimarer Republik rückte vor allem auch das Sozial- und Jugendwesen in den Mittelpunkt der Kreistätigkeiten. Das Wohlfahrtsamt war zuständig für die Gesundheitsfürsorge und kümmerte sich beispielsweise um die Mütter-, Tuberkulose- und Krüppelberatung sowie Schulkinderuntersuchungen.

Dr. Hansjörg Riechert, Archivar des Kreises Lippe, skizzierte die Aufgaben der Kreise nach dem 8. Mai 1945, „nach dem vollständigen Bankrott der deutschen Gesellschaft angesichts der von ihr verübten und hingenommenen Gewaltverbrechen gegen die Menschlichkeit, die das Ausbeutungs- und Vernichtungssystem des NS-Staates kennzeichnete“, so Riechert. Nicht nur die eigene Bevölkerung, auch rund 12 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene aus den mittel- und osteuropäischen Reichsgebieten mussten versorgt werden. Deshalb hielten die Briten den Verwaltungsbetrieb aufrecht. Von besonderer Bedeutung waren die von ihnen akzeptierten Landräte und Bürgermeister, die all das mit ihren Verwaltungsbediensteten leisten mussten. Der Grundbedarf an Kalorien wurde berechnet, die knappen Lebensmittelbestände durch Lebensmittel und Bezugsscheine verteilt. Die Beschaffung von Bekleidung und Schuhe sowie ausreichendem Wohnraum, Öfen und Brennmaterial standen ganz oben auf der Tagesordnung. In der Kreisverfassung wurde nach britischem Vorbild die doppelte Verwaltungsspitze von Landrat und Oberkreisdirektor eingeführt. Weitere Aufgaben kamen durch die kommunalen Gebietsreformen der Jahre 1967 bis 1975 hinzu. In den Jahrzehnten nach Ende des zweiten Weltkrieges wurde in Reparatur- und Aufbau des Verkehrs- und Versorgungsnetzes sowie in öffentliche Einrichtungen wie Krankenhäuser, Feuerwehr, Zivil- und Katastrophenschutz, Schulen und Museen investiert. In den Verwaltungen dieser Tage gehe es um Service und Dienstleistungen. Verwaltungsmitarbeiter müssten immer breiter aufgestellt und höher qualifiziert sein, unterstrich Riechert.

200 Jahre mit Fokus Verwaltung ist schwere Kost. Den Referenten gelang es in Zusammenspiel mit den Schauspielern Patrick Depari und Stephan Weigelin des Theaters Paderborn, die Gäste des Abends auf eine informative Zeitreise mit zu nehmen. Die Reiseerlebnisse regen zum Nachdenken an und können zum Teil (Vorträge von Landrat Manfred Müller und Wilhelm Grabe) unter www.kreis-paderborn.de nachgelesen werden.

 
 
 

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