27. Dezember 2017
Interaktive Ausstellung „Klang meines Körpers©“ zur Prävention von Essstörungen kommt im April ins Paderborner Kreishaus, Fachkräfte lernen wie sie Besucherinnen, Besucher und Gruppen durch die Ausstellung führen
Zwölf Frauen sitzen im Kreis. Sie hören zu, schreiben mit. Vor ihnen eine Flipchart, um sie herum Stellwände. Eine ganz normale Seminarsituation? Nein.
Das wird beim Anschauen der im Raum verteilten Stellwände deutlich. Sie zeigen junge Mädchen – im Spagat, im Schwimmbad, mit weißen Tauben. Was sie vereint: Sie alle hatten eine Essstörung und haben sie kreativ verarbeitet. Verarbeitet in einer interaktiven Ausstellung, die sich speziell an Jugendliche richtet. Ihr Titel: „Klang meines Körpers©“.
Es ist eine Ausstellung mit heilsamen Bildern, mit Präventionsbildern. Sie wird nicht einfach irgendwo gezeigt, sondern soll und muss von Fachkräften begleitet werden. Diese Fachkräfte aus Jugendämtern, Schulen und Beratungsstellen des ganzen Kreisgebietes wurden einen Tag lang im Paderborner Kreishaus geschult. Seminarleiterin ist Musiktherapeutin Stephanie Lahusen. Aus Düsseldorf kam sie extra angereist. Sie war es, die die interaktive Ausstellung im Jahr 2006 mit fünf betroffenen jungen Frauen in Bamberg konzipierte. Träger der Ausstellung wurde im Jahr 2009 der Verein Lebenshunger e.V. aus Düsseldorf. Seitdem zieht Lahusen durch ganz NRW, verleiht die Ausstellung an interessierte Einrichtungen und schult Fachkräfte.
In den Schulungen geht es Lahusen um die Methoden, um das wie, nicht um die Fakten. Magersucht, Bulimie, Binge-Eating – das alles sind bekannte Begriffe für die Fachkräfte. Was sie lernen müssen ist, wie sie auf Menschen zugehen, damit diese sich öffnen und eine Essstörung früh erkannt wird oder erst gar nicht entsteht.
Ein Beispiel: Wie schafft man es kurz und knapp über die Auslöser einer Essstörung zu sprechen? Mit einem Kochrezept. „Man nehme eine weibliche Person, zur Not geht auch eine männliche, vermische sie mit einer großen Portion Selbstunsicherheit und erhitze diese Mischung. Kurz vorm Anbrennen, löschst du dann mit Perfektionismus und hohen Ansprüchen das Gemisch ab“, liest Lahusen vor. In Kleingruppen erarbeiten die Ausstellungsbesucher weitere Zutaten, schreiben sie auf Karten und werfen sie in einen Kochtopf. Gemeinsam werden die Begriffe nach Kategorien sortiert: Wo geht es um die Person selbst, wo um die Familie, wo um Schönheitsideale. Schnell wird dabei klar, dass eine Essstörung nichts Exotisches ist. Es geht zwar um Hunger, aber nicht um den Hunger nach Essen, sondern nach Bedürfnissen wie Liebe, Nähe, Unterstützung, Freundschaft - Bedürfnisse, die jeder Mensch hat.
„Das ist ganz konkretes Handwerkszeug, was wir heute mitbekommen“, sagt Seminarteilnehmerin Monika Grobe. Sie arbeitet im Beratungszentrum Nordstraße Paderborn und hat sich auf die Beratung von Familien, Eltern, Jugendlichen – vor allem Mädchen – spezialisiert. Im April wird sie und die anderen geschulten Teilnehmerinnen Schülergruppen, Betroffenengruppen, Angehörige und Interessiere durch die Ausstellung „Klang meines Körper©“ führen.
Lahusen erklärt das Konzept der Ausstellung: Sie gliedert sich in einen inneren und einen äußeren Kreis. Im äußeren Kreis beleuchten fünf Tafeln die Aspekte einer Essstörung. Neben den Ursachen und Auslösern geht es um die Signale, die Betroffene geben, um Tipps, wie sie es geschafft haben, die Essstörung zu besiegen.
Im inneren Kreis der Ausstellung taucht der Betrachter in die Welt der
Betroffenen ein. In Porträts mit Bildern und Texten erzählen junge fünf
Frauen und ein Mann von ihren Ängsten, Nöten, Sehnsüchten und Wünschen.
Dabei lassen sie die emotionale Komplexität ihrer jeweiligen Erkrankung
erkennen.
Und wie erreicht man damit am besten die
Besucher? Lahusen gibt den Fachkräften das Mittel der Bildanalyse an die
Hand. Fünf Leitfragen stoßen dabei zu Gespräch und Austausch an.
Weiter
zum nächsten Element der Ausstellung: Die Hörstationen. Sie nutzen
Musik als Sprache der Gefühle. An Kopfhörern sind Musikstücke zu hören,
in denen sich die betroffenen Frauen wiedergefunden haben: Anonym genug
und doch so persönlich, dass jeder Jugendliche eigene Gedanken,
Empfindungen, Wünsche und Ängste nachspüren kann. Die Hörstationen
folgen einem Grundsatz der Musiktherapie: Du kannst es nicht sagen, aber
vielleicht hast du ein Lied dazu. Lahusen gibt den Fachkräften mit, mit
den Besuchern über ihre Lieder und die darin behandelten Themen zu
sprechen.
Die letzte Station sind Schatzkisten. Jede
Betroffenen hat für die Ausstellung eine eigene Kiste gepackt. Darin ist
alles, was ihr aus der Essstörung geholfen hat: Bei Annika sind es
Dinge, die ihr Leben lebenswert machen wie ein Fahrrad, Postkarten aus
dem Urlaub oder Kosmetik. In Laras Kiste verstecken sich Liedtexte, bei
Melissa ein Spiegel der das eigene Selbstbewusstsein stärken soll und
bei Mia sind Broschüren und Infomaterial zu örtlichen Beratungsstellen,
Selbsthilfegruppen und Kliniken zu finden. Die beste Prävention vor
einer Essstörung ist ein positives Selbstbild und das Bewusstsein über
die eigenen Bedürfnisse und Wünsche, weiß Lahusen.
Am
Nachmittag endet das Seminar mit einer Feedbackrunde. Alle
Teilnehmerinnen sind sich sicher: „Mit der interaktiven Ausstellung
erreichen sie die Interessiere, aber auch Betroffene weit mehr, als mit
einem einfachen PowerPoint Vortrag.“
Hintergrund:
Die Ausstellung „Klang meines Körpers“ ist von Montag, 16. April, bis Donnerstag, 19. April, im großen Sitzungssaal des Paderborner Kreishauses zu sehen. Eingebettet ist sie in die „Tage der Psychiatrie, Psychotherapie und Beratung“ die sich in diesem Jahr dem Thema Essstörungen widmen.
Kontakt:
Andrea Schadomsky
Beratungsstelle für Menschen mit Essstörungen
Kreisgesundheitsamt Paderborn
05251 308 – 5379
schadomskya@kreis-paderborn.de
Kreis Paderborn
Aldegreverstraße 10 – 14
33102 Paderborn
Telefon: 05251 308 - 0
Telefax: 05251 308 - 8888
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